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orte des wissensBitte mehr Saccharin

Das Göttinger Institut für Zuckerrübenforschung ergründet, wie die Zuckerrübe gegenüber dem Rohr konkurrenzfähig bleiben kann

Der Verein der Zucker­industrie, der das Institut trägt, propagiert den Zuckerkonsum offensiv

Vielleicht ist es ein Institut mit Zukunft. Vielleicht ändert es sich immer wieder, je nach Weltlage. Die Rede ist vom Institut für Zuckerrübenforschung. Als An-Institut der Uni residiert die 65 MitarbeiterInnen zählende Einrichtung seit 1952 in Göttingen. Vorläuferin war laut Homepage eine von 1882 bis 1945 existierende Forschungsstation des Vereins der Zuckerindustrie bei Halle. Dieser 1850 in Berlin gegründete Verein sollte die heimische Zuckerproduktion stärken. Denn Zuckerrohr, im Zuge des kolonialen „Dreieckshandels“ von Sklaven in der Karibik geerntet und in Europa verarbeitet, war teuer, verteuerte sich weiter nach dem Sklavenaufstand 1791 in Frankreichs Kolonie Santo Domingo auf Haiti.

Also sann Europa auf Alternativen – und fand die Runkelrübe, weitergezüchtet zur Zuckerrübe. Aber sie enthält weniger Saccharin als Rohrzucker, dessen Export bis vor einigen Jahren rund 80 Prozent des Weltmarkts ausmachte, seit Ende der innereuropäischen Subventionen und Anbauquoten 2017 wohl noch mehr.

Was kann ein Institut für Zuckerrübenforschung angesichts solcher Konkurrenz ausrichten? Es ergründet, wie die Eigenproduktion zu steigern ist: züchtet in Feldversuchen Sorten, die widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge sind und mehr Zucker enthalten. Zudem arbeitet man an der digitalen „Unkrautkontrolle“ bzw. -entfernung durch Roboter. „Forschung und Entwicklung sind recht weit fortgeschritten,“ sagt Anne-Katrin Mahlein, Professorin für Agrarwissenschaften und Chefin des Instituts. „Diese Technologie ist bereits auf dem Feld im Einsatz.“ Corona mit seinem anfänglichem Arbeitskräftemangel besonders im ökologischen Anbau habe einen Schub gegeben. „Ein wichtiges Ziel ist auch, im Zuge des europäischen „Green Deal“ weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen und Unkraut auf andere Art zu entfernen“, sagt Mahlein.

Das wichtigste Forschungsfeld ist aber zweifellos: die Trockenheitsresilienz der Rübe, etwa durch geeignete Anbaumethoden. „Bereits zu 70 Prozent angewendet wird die Mulchsaat, bei der alte Pflanzenreste auf dem Boden bleiben und eine Schutzschicht gegen Austrocknen und Erosion bilden“, sagt Mahlein. Denn während Zuckerrohr in den Tropen 25 bis 30 Grad und viel Regen braucht, gedeiht die Rübe im gemäßigten Klima Europas. Doch der Klimawandel ist da, und der Industrieverband Agrar schreibt, laut Thünen-Institut werde die Zuckerrübe nur an Standorten „mit guten Böden, ausreichenden Sommerniederschlägen und milden Temperaturen eine Chance haben“.

In der Tat habe die Zuckerrübe hier die gleichen Probleme wie andere Pflanzen, sagt Mahlein. „Wenn wir eine frühe Trockenheit haben, entwickeln sich die Zuckerrübenbestände ungleichmäßig, die Pflanzen sind in ihrer Physiologie gestört. Das kann Einfluss auf ihren Ertrag haben.“ Dabei sei die Rübe eigentlich genügsam: Sie brauche eine moderate Wasser- und Nährstoffversorgung und wenig Stickstoffdüngung. Deshalb ist Mahlein überzeugt, dass die Zuckerrübe in Mitteleuropa wichtig bleibt.

Der Verein der Zuckerindustrie, der das Institut trägt, ist weniger dezent und propagiert den Zuckerkonsum offensiv. Über Karies, Diabetes, Herz-Kreislauf- und andere zuckerbedingte Erkrankungen schweigt die Vereins-Homepage. Dafür warnt die Zuckerwirtschaft anlässlich des „von foodwatch erfundenen Kinder-Überzuckerungstags vor einem falschen Fokus“. Foodwatch stelle ein einzelnes Lebensmittel an den Pranger. Bei Übergewicht helfe es nicht, Lebensmittel in gut und schlecht einzuteilen. Zu einem gesunden Lebensstil gehöre ausreichend Bewegung und ausgewogene Ernährung. „Da hat Zucker auf jeden Fall seinen Platz“, steht da.

Wie Institutschefin Mahlein zu solchen Slogans steht? „Wir sind ein rein agrarwissenschaftliches Forschungsinstitut“, sagt sie. „Ernährungsfragen und politische Themen fallen nicht in unser Forschungsgebiet.“Petra Schellen

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