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normalzeitHELMUT HÖGE über Patriotismus

Korruption & Rhein-Kapitalismus

„Wiedervereinigung ungültig – Kohl war gedopt“, titelte die Titanic einmal, ohne zu wissen, wie Recht sie damit hatte. Es war der Mantel der Geschichte, der den pfälzischen Fleischsalat kirre machte: Patriotismus – und nicht niedere Motive ließen Kohl die Millionen-Spenden der Industrie annehmen. Das Geld habe er für die CDU-„Betriebsgruppen“ drüben verwandt: „Die standen doch da gegenüber der PDS mit dem Rücken zur Wand!“

Und dass die westdeutsche Industrie sich für den „Heimatschutz“ pekuniär bedankte – ist auch nurmehr recht als billig. Z.B. für den „Stromvertrag“: Zwei Tage nach dem Rücktritt des ersten Treuhand-Chefs Gohlke, als niemand zuständig war, wurde nahezu die gesamte ostdeutsche Stromwirtschaft an ein von RWE geführtes Konsortium verkauft. Der Ost-SPDler Mathias Platzeck kann sich noch erinnern: „Diesen Stromvertrag wollten nicht einmal die Ost-CDU-Abgeordneten mittragen. Da hat Krause sie rausgeholt und gesagt: ‚Der Vertrag ist vom Kanzler persönlich ausgearbeitet worden. Ohne den ist die Wiedervereinigung nicht zu haben.‘ Da haben sie dann zugestimmt.“

Wenig später erwarb die RWE-Tochter Rheinbraun – wie schon zuvor bei den Nazis – auch noch die Lausitzer Braunkohlereviere (Laubag), und im Kanzleramt wird festgelegt, dass die ostelbischen Kommunen 70 % ihres Bedarfs aus der überteuerten Braunkohle-Verstromung beziehen müssen. Der kohlsche Stromvertrag heilte die illegale sowjetische Ostgruben-Enteignung Flicks nahezu komplett! Es wäre zu hoffen, dass dabei wenigstens Gelder des Dankes (zurück-)flossen. Kohl rechtfertigte sich: „Für Privatisierungen war die Treuhand zuständig, und da saßen doch auch SPDler und Gewerkschafter, die das alles mitgetragen haben!“

Stimmt, diese Ostarbeiter-Verräter waren immer dafür: „Der IG-Chemiechef Hermann Rappe trägt immer alles mit, wenn es ums Vaterland geht,“ schreibt der Treuhand-Rechercheur Michael Jürgs. Der damalige IG-Metallchef Steinkühler brachte seinen Ziehsohn Jörg Stein in der Treuhand unter, ohne den dort bald gar nichts mehr ging: Er überredete die Belegschaften der zum Verkauf anstehenden Betriebe, in seine Beschäftigungsgesellschaft „Mypegasus“ überzuwechseln – aus DDR wurde dabei ABM. Heute bietet Stein – von der SPD unterstützt – abgewickelten Vulkan-, Dasa-, Holzmann-Belegschaften seinen „Service“ an.

Der rheinische Patriotismus war auch für ihn im Osten bahnbrechend. Ähnliches gilt für die Ruhrgas AG, der man das gesamte ostdeutsche Gasnetz – VNG – zuschanzte. Mehr als alle anderen Firmen erwarb jedoch die Siemens AG Betriebe im Osten – nahezu umsonst. Mit ihrem im Elektrokartell (IEA) festgeschriebenen deutschen „Gebietsschutz“ hielt sie darüberhinaus die japanische Firma Phoenix davon ab, Narva zu erwerben, ebenso Samsung, den Öko-Kühlschrankhersteller Foron zu übernehmen und General Electric, beim renommierten DDR-Anlagenbauer Elpro AG einzusteigen (dafür halfen sie GE, wieder im Iran-Geschäft Fuß zu fassen).

Der Unternehmensberater Matuschka urteilte: „Der arme Verwandte (DDR) wurde kolonialisiert und hatte keine Chance. Die Treuhand sollte Unternehmen liquidieren, die für die westdeutsche Wirtschaft hätten zu gefährlichen Konkurrenten werden können!“ Deren Patriotismus – das ist das eigentlich Verbrecherische und nicht ihre anschließende Spendenfreudigkeit den Christdemokraten gegenüber.

Wenn Kohl jetzt wegen schwarzer Partei-Konten angeklagt wird, über die sie – „das waren alles deutsche Staatsbürger – ihre Dankbarkeit abwickelten, dann ist das bloß eine weitere westdeutsche Posse.

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