migrations-„karawane“ in die usa: Trumps politischer Bumerang
Die Migration aus Mittelamerika ist auch Folge einer verfehlten US-Politik, die Demokratisierung in der Region unterbindet und Dikatoren stützt
Knut Henkel
ist freier Journalist und schreibt über Themen aus Lateinamerika, unter anderem für das „Amnesty Journal“, die taz und die „NZZ“. Er lebt in Hamburg.
Die Namen des Grenzübergänge nach Mexiko sind den meisten Guatemalteken genauso bekannt wie mexikanische Städte wie Tapachula oder Arriaga. Diese markieren die Etappen einer Route durch den Süden Mexikos in Richtung USA. Kaum eine Familie in Guatemala hat ein Familienmitglied, das nicht diese Route hinter sich gebracht hat. Drei Millionen sind es, die derzeit in den USA leben und mit ihren Geldtransfers rund 11 Prozent zur Wirtschaftsleistung des mittelamerikanischen Landes beitragen. Alltag in Mittelamerika, wo die Auswanderung gen Norden seit Jahrzehnten ein Faktor ist.
Doch der amerikanische Traum ist für die Migranten aus Mittel- und Lateinamerika längst ausgeträumt. Seit 9/11 werden die Neuankömmlinge mehr und mehr wie Terroristen betrachtet – und nicht mehr wie billige und zuverlässige Arbeitskräfte auf Baustellen oder in Hotels und Privathäusern der USA. Dort arbeiten sie als Haushaltshilfen, Zimmermädchen oder Reinigungskräfte meist im Hintergrund, wie Studien von Hilfsorganisationen wie Avina oder des Zentralamerikanischen Instituts für Soziales und Entwicklung (Incedes) belegen. Allerdings haben die wenigsten derer, die es in die USA geschafft haben, einen sicheren Status in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das sich einst als Einwanderungsland par excellence definierte, wie die Inschrift auf der Freiheitsstatue belegt.
Doch für die amtierende Regierung von Donald Trump ist das Schnee von gestern. Er setzt auf Stigmatisierung der Zuwanderer als Kriminelle, setzt die Abschiebungspolitik seines Vorgängers Barack Obama fort und versucht, die Südgrenze der USA weiter nach Süden zu verlegen. Dafür wird Druck auf Mexiko, aber auch auf die mittelamerikanischen Regierungen ausgeübt. Sie sollen nach Trumps Willen Märsche von Migranten unterbinden. Dafür wird wahlweise mit Ausweitung oder Einschränkung der finanziellen Hilfe aus den USA gelockt beziehungsweise gedroht.
Dabei sind die USA maßgeblich mitverantwortlich für die Ursachen der mittelamerikanischen Migration, vor allem im sogenannten Triangulo Norte, dem Dreieck, das El Salvador, Honduras und Guatemala bilden. In Guatemala führten die USA 1954 den Sturz der demokratisch legitimierten Regierung von Jacobo Árbenz herbei, unterstützten während der Administration von Ronald Reagan den Diktator Efraín Ríos Montt und protegieren den derzeitigen Präsidenten Jimmy Morales. Morales ist jedoch für das Rollback im Justizsektor verantwortlich und hat das Mandat der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) aufgekündigt, was Menschenrechtsexperten stark kritisieren. Im Nachbarland Honduras wurde 2009 der Putsch gegen den demokratisch legitimierten Präsidenten José Manuel Zalaya von der ehemaligen US-Außenministerin Hillary Clinton nicht nur toleriert, es wurde auch aktiv versucht, den linksliberalen Zelaya von der Rückkehr an die Macht abzuhalten. Dabei ging es um ökonomische US-Interessen. Seitdem wurden mehrere Wahlen von Gewalt und Wahlmanipulation überschattet, Militär und Polizei hochgerüstet, doch wenig bis gar nichts wurde in soziale Programme investiert. Die Politik des als korrupt geltenden Präsidenten Juan Orlando Hernández, dessen Bruder gerade wegen Geldwäsche in den USA festgenommen wurde, heizt die Auswanderung noch an. Die hat, laut dem Migrationsexperten Danilo Rivera vom Incdes-Institut in den drei Staaten des Triangulo Norte identische Ursachen: Fehlen ökonomischer Perspektiven und omnipräsente Gewalt.
Rivera attestiert den Eliten der drei mittelamerikanischen Staaten ein Niveau an Korruption und Verantwortungslosigkeit, das die soziale Krise hat ausufern lassen. Dabei drücken die USA beide Augen zu und liefern nicht nur an Honduras Überwachungs- und Militärtechnologie. Die wird auch gegen die Bevölkerung, gegen Kritiker, aber ab und zu auch gegen internationale Akteure eingesetzt, wie das Beispiel der Cicig zeigt. Vor deren Zentrale in Guatemala-Stadt patrouillierten Ende August 2018 von den USA gespendete Militärjeeps – ein klarer Akt der Einschüchterung.
Zwar haben die USA in diesem Fall gegen den Einsatz des gespendeten Geräts protestiert, aber eben nicht mehr als das. Guatemalas Präsident Jimmy Morales, der nach außen das Gesicht eines Bündnisses aus erzkonservativen Militärs und korrupten Unternehmern ist, des sogenannten „Pakts der Korrupten“, hat weitgehend freie Hand. Die nutzt das Zweckbündnis, um die Macht auszubauen und sich gegen Ermittlungen der Justiz per Gesetz zu imprägnieren. Das ist nicht nur in Guatemala, sondern auch in Honduras der Fall. Dort haben die Parlamentarier der Antikorruptionskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Ermittlungen gegen Abgeordnete per Gesetz untersagt – ohne dass von den USA oder der EU offen Kritik geäußert worden wäre. Das schaffe ein Klima der Recht- und Hilflosigkeit, so der Anwalt und Analyst Joaquín A. Mejía. Der für ein Forschungsnetzwerk der Jesuiten arbeitende Jurist aus dem honduranischen El Progreso hat in den letzten Monaten Morddrohungen erhalten und musste für einige Monate ins Exil nach Spanien gehen. Kein Einzelfall in Honduras, wo die Zahl der Anschläge auf Menschenrechtsaktivisten hoch ist.
Ähnlich in Guatemala, wo sich die einst rückläufige Bilanz im Jahr 2018 ins Gegenteil verkehrt hat. 23 Morde an Aktivisten und damit mehr als doppelt so viele wie 2017 wurden bisher registriert, so die Menschenrechtsorganisation Udefegua. Deren Direktorin Claudia Samayoa macht dafür auch den Mangel an internationalem Druck verantwortlich – nicht nur aus den USA. Für diese ist die mitverschuldete Demokratisierungskrise im Triangulo Norte allerdings zum Bumerang geworden – die Menschen stimmen mit den Füßen ab, denn das Vertrauen ins Wahlsystem haben sie längst verloren.
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