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Die Kunst der WocheFermentiertes Wissen

Malerische Forschung in der Werkstattgalerie, Ökologien der Resilienz bei Under The Mango Tree und forschendes Färben im Art Laboratory Berlin.

Textilien färben mit Fermentation: Im Art Laboratory Berlin wird Bakterien-Pflanzen-Interaktionen sichtbar Foto: José Hernández Lobato und Regine Hengge

Vor ca. eineinhalb Jahren brachte ich ein kleines Tafelbild nach Rom, um es dort restaurieren zu lassen“, schreibt Pascual Jordan, Künstler und Leiter des Kunstvereins Werkstattgalerie e.V. zur neuen Ausstellung „Guckmalrichtighin“. Nachdem etliche Übermalungen aus dem 19. Und 20. Jahrhundert entfernt worden waren, so fährt er fort, entwickelte das Bild große Strahlkraft und erklärt die Zuschreibung „Stürmische Landschaft“ von Hercules Seghers (ca. 1590-1638) durch Wilhelm von Bode, der eine Schlüsselrolle bei dessen Wiederentdeckung und Anerkennung als bedeutendem Künstler der niederländischen Kunstgeschichte spielte.

Für Jordan begann damit das Abenteuer der Provenienzforschung, der bildgebenden Untersuchungen, der Pigmentanalysen und der Datierung des Bildträgers. Die Erkundung des Narrativs stellte sich freilich als das noch viel größere Abenteuer heraus, da Jordan und seine Mitstreiterin Ulrike Kegler auf die Idee kamen, die Forschung malerisch anzugehen, in der mimetischen Auseinandersetzung mit einem Ausschnitt der „Stürmischen Landschaft“.

Hercules Pieterszoon Seghers Karriere verläuft parallel zum Aufkommen des sogenannten Goldenen Zeitalters, das mit dem 12-jährigen Waffenstillstand im 80-jährigen Krieg mit Spanien eingeleitet wurde. Amsterdam, wo Seghers regelmäßig als Maler erwähnt wird (nach dem sich Anna Seghers, eigentlich Netty Reiling, benannt hat), entwickelte sich – begünstigt durch die hohe Bevölkerungsdichte, religiöse Toleranz und die Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere Calvinisten aus den südlichen Niederlanden und sephardischen Juden – zum wichtigsten Finanz- und Handelszentrum und als Teil der Vereinigten Niederlande zur ersten Kolonialmacht der Welt.

Auseinandersetzungen mit Hercules Seghers von Pascual Jordan und Ulrike Kegler Foto: Courtesy the artists

Allerdings flammten die kriegerischen Auseinandersetzungen ab 1621 wieder auf, was in der „Stürmischen Landschaft“, die Maastricht zeigt, seine Spuren hinterlässt. Und so kommen Jordan und Kegler in ihrer malerischen Vertiefung in einen Bildausschnitt am rechten Bildrand, der den Himmel über einem Berg zeigt, allerlei Gespenstern auf die Spur. Die Seelen der Toten haben sich noch nicht beruhigt und scheinen sich als sinnestäuschende Fratzen und Schemen in den Wolken zu tummeln. Auch am Boden bedeckt die Erde nur als dünne Decke die toten Körper der Kämpfenden.

Hercules Seghers, als Radierer und Meister vorzüglicher Landschaften geschätzt, war ein Artist's Artist. Und das scheint er immer noch zu sein, wie „Guckmalrichtighin“ belegt. Sein Werk regt noch immer das Experiment an, wie jetzt die Konzeptmalerei von Jordan und Kegler. Das richtige Hinschauen, das Studium des Bildes, umfasst dabei Farbstudien, in Ölkreide oder als Gouache ausgeführte Skizzen der in den Wolken aufgespürten Tiergesichter, die Wolken selbst und schließlich die eigene Version der stürmischen Landschaft.

Ringen um Resilienz

Es sind wohl die Vögel, die die Bilder sofort so anziehend machen. Sie erheitern, stimmen erwartungsvoll und hoffnungsfroh. Und tatsächlich: Dieser erste Eindruck täuscht nicht. Der 1988 in Mullaitivu im Norden Sri Lankas geborene tamilische Künstler Sivasubramaniam Kajendran versteht die Vögel als Zuhörer der leidenden Menschen, aber auch als Boten guter Nachrichten. Deshalb positioniert er sie gerne an den Mündern seiner Figuren – gerade so, als fütterten sie die Menschen mit Zuversicht.

Diese Zuversicht benötigen seine Protagonisten auch; sie ist ihre politische Waffe im Kampf um die „Ecology of Resilience“ wie die Ausstellung bei Under the Mango Tree heißt. Ihren Widerstand gegen die buddhistischen Singhalesen haben die hinduistischen Tamilen in einem 25-jährigen Bürgerkrieg ausgetragen, der 2009 mit dem militärischen Sieg der Regierungstruppen endete. Sivasubramaniam Kajendran war unter den Menschen, die damals an den Strand von Mullivaikkal getrieben und bombardiert wurden. Man schätzt, dass 40 000 bis 70 000 Menschen starben. Der Künstler, von Bombensplittern an Armen und Beinen verletzt, überlebte. Seine jüngere Schwester kam um. Zuvor hatte er schon seine große Schwester und seine Mutter in dem Tsunami verloren, der am 26. Dezember 2004 auf die Küsten Sri Lankas traf.

Sivasubramaniam Kajendran, Untitled, Oil On Canvas, 105 x 75 cm, 2024 Foto: Courtesy the artist and Under The Mango Tree

Schmerz grundiert also seine Bilder und die Politik der Macht und Unterdrückung. Das ist aber ebenso wenig zu sehen wie die Monster des Krieges bei Hercules Seghers. Zunächst bewundert man Porträts und androgyne Körper, die der Künstler in statischen, an Yogafiguren erinnernden Positionen vor einen monochromen Hintergrund stellt. Sie sind in transparente Stoffe gehüllt, mit Blumen geschmückt und von Tieren umgeben (wenn nicht „besetzt“ zu sagen, präziser wäre) und scheinen zunächst nur Ausdruck von Schönheit und Harmonie zu sein. Doch diese Schönheit verdankt sich dem harten, schweren Ringen um Balance und Standfestigkeit sowie der Bezähmung der immer noch vorhandenen Wut, kurz, dem Ringen um Resilienz.

Die Bilder sind aufgeladen, das ist zu spüren. Alles hat Bedeutung. Das erdige Gelb steht für das tamilische Volk, des Hellblau für den Tsunami, das Dunkelblau für das Unbekannte, die Drohung der Nacht während das silbrige Weiß die Aschelandschaften nach den Verheerungen des Bürgerkriegs symbolisiert. „Meine Bilder sollen dir nicht mit der Faust ins Gesicht schlagen“ zitiert der Schriftsteller Sven Recker in seinem Vortrag zur Ausstellung den Künstler, „aber zum Denken anregen, das sollen sie schon.“

Färbende Materie

Im interdisziplinären Ausstellungs- und Forschungsprojekt „Fermenting Textiles“ das als Teil des _matter Festival 2025 im Art Laboratory Berlin zu sehen ist, werden die Dinge, etwa die Materie, auch etwas anders, nämlich als aktiv betrachtet. Der Titel bezieht sich auf die in Burkina Faso praktizierte Vouwo-Färbetechnik. Im Gegensatz zu anderen traditionellen handwerklichen Färbeverfahren wie dem japanischen Dorozome, wird der Stoff hier nicht einfach mit Pflanzen und Schlamm gefärbt, sondern bis zu zwei Jahre lang in diesem Gemisch aus verschiedenen Pflanzenmaterialien und Erden unterschiedlicher Herkunft in einen Topf fermentiert.

Während die Künstlerinnen und Designerinnen Pauline Agustino und Satomi Minoshima das Färben von Kimonostoffen nach dem Dorozome-Verfahren vorstellen, wie es die Fär­be­r:in­nen auf der Insel Amami Oshima praktizieren, arbeitete die Anthropologin Laurence Douny mit dem burkinischen Färber Adama Séré zusammen. Dabei dokumentierte sie den langwierigen Färbeprozess auch im Film. Die Mikrobiologen Regine Hengge und José Hernández Lobato untersuchten dann die komplexen Interaktionen von Bodenbakterien, Pflanzen und Baumwollstoff während seiner Fermentation.

Die Ausstellungen

Pascual Jordan und Ulrike Kegler: Guckmal­richtighin. Werkstatt­galerie, bis 19. 6., Mi.–Fr. 15–19 Uhr, Eisenacherstr. 6

Sivasubramaniam Kajendran: Ecology of Resilience. Under The Mango Tree, bis 29.6., Mi.–Fr. 15.30–18.30 Uhr, Sa./So. 13–16.30 Uhr, Merseburger Str. 14

Fermenting Textiles. Weaving Together Traditional Craft, Anthropology, Microbiology, and Art. Mit Adama Séré, Laurence Douny, Regine Hengge, Pauline Agustoni, Satomi Minoshima, Art Laboratory Berlin, bis 6. Juli, Do.–So. 14–18 Uhr, Prinzenallee 34; Talk mit Regine Hengge & Laurence Douny (auf Englisch): So., 15. Juni 2025, 15–16:30 Uhr

Anhand von fünf Jagdhemden werden verschiedene Farbtöne und Färbetechniken anschaulich. Ein hellbraunes Hemd wurde ausschließlich mit Pflanzen gefärbt, während bei zwei weiteren Hemden die Erde eines Termitenhügels für eine dunklere Färbung sorgte. Ein viertes Hemd, das in einem Sud aus Pflanzen, Termitenerde und dem Lehm eines Teichs fermentiert wurde, ist dann fast schwarz. Dieses Schwarz ist beim fünften Hemd verblasst, weil es seit zehn Jahren in Gebrauch ist.

Die Heilwirkung, die den Hemden zugesprochen wird, weil sich bei der Jagd zugezogene Verletzungen nur selten entzünden, belegt die mikrobiologische Untersuchung. Nachdem ein fehlgeschlagener Färbeversuch durch das Hinzufügen weiterer Schoten des Acacia nilotica-Baumes gerettet werden konnte, zeigte sich in der Laboruntersuchung, dass E.coli und B. subtilis die Erde verunreinigt hatten, ihr Wachstum durch die erhöhte Konzentration des Pflanzenextrakts jedoch vollständig unterbunden wurde. A. nilotica enthält also Substanzen, die antimikrobiell wirken und die Bildung von Biofilm verhindern.

Nicht verwunderlich, dass die im Färbetopf getrockneten Vouwo-Pigmente nicht nur bei der Herstellung von neuem Farbstoff, sondern auch als Heilmittel und Körperlotion, etwa bei Hautausschlägen zum Einsatz kommen. Die Zweige von A.nilotica dienen als Zahnbürsten. Die langjährige Erfahrung des 2006 gegründeten Art Laboratory Berlin in der Präsentation und Vermittlung zeitgenössischer Kunst an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie zeigt sich im sinnfälligen Ausstellungsdesign.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

In erklärenden Texten, Filmen, Fotografien, Displays, Agarplatten mit Bakterien und Kleidungsstücken werden die komplexen Sachverhalte anschaulich. In diesem Ausstellungsdesign wird „der Materie der ihr gebührende Platz als aktive Teilnehmerin am Werden der Welt“ eingeräumt – wie Regine Rapp und Christian de Lutz von Art Laboratory Berlin in ihrer Einführung zur Ausstellung die Forderung der Philosophin Karen Barad zitieren.

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
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