kommentar: Moskauer Prügelparade
Mit Tränengas und Gummiknüppeln gegen Menschenrechte? Es reicht.
Niemand von dieser europäischen Delegation von Menschenrechtlern, die am Wochenende in Moskau Station machten, kann ernsthaft damit gerechnet haben, willkommen geheißen zu werden. Weder vom russischen Präsidenten, Wladimir Putin, noch vom Bürgermeister der Millionenstadt, der schon vor zwei Wochen das Anliegen der Demonstration überhaupt als „unrussisch“ verboten hatte. Das Verbot betraf einen für westliche Verhältnisse ganz normalen Christopher-Street-Umzug.
Zu dieser Delegation zählte auch der Grünen-Politiker Volker Beck, der von Gegendemonstranten angegriffen und anschließend anderthalb Stunden polizeilich in Gewahrsam gehalten wurde. Diese europäischer Hilfe für ein offenkundig in Demokratiefragen vorzivilisiertes Land wie Russland ist auch eine Angelegenheit der Menschenrechte, denn im Gegensatz zu westlich-rechtsstaatlichen Ländern ist im gesamten Bereich des früheren Ostblocks eine Parade Homosexueller keine Lifestyle-Frage, sondern eine Frage der politischen Existenz aller. Beck wies in Moskau genau auf diesen Umstand hin: Dass Russland alle möglichen europäischen Mindeststandards völkerrechtlich verbindlich unterzeichnet habe, sich aber an diese nicht halte.
Insofern verwundert es, dass die öffentlich-rechtlichen Medien am Pfingstsonntag diese Meldung eigentlich unter „ferner liefen“ verhandelten – nach umfangreichen Berichten über den Pokalsieg des 1. FC Nürnberg. Offenbar gilt hiesigen Journalisten eine Homosexuellen-Demonstration als weniger appetitlich als ein Protest von Ökologen, sagen wir in Tschernobyl.
Denn nicht nur hat Russland eine Meinungsbekundung von Schwulen und Lesben behindert und damit einen demokratischen Diskurs überhaupt, sondern es hat auch dabei zugesehen, wie quasifaschistische Schläger die europäischen Parlamentarier brutal bedrohten. Andererseits wundert es kaum, dass Russland eben auch in dieser Frage faktisch totalitärer tickt als zu stalinistischen Zeiten.
Andere Mindeststandards europäischen Zusammenlebens werden ja auch missachtet: kritischer Journalismus, Kritik am Tschetschenienkrieg, Missbilligung des Putin’schen Regierens überhaupt. Und wer nicht spurt, wird zur Strecke gebracht.
Es wäre klug für europäische Demokraten, dem Menschenrecht auf eine andere Sexualität ebensolchen Rang einzuräumen wie dem Recht auf Anderssein überhaupt. JAN FEDDERSEN
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