piwik no script img

kommentar von KAI VON APPEN über den polizeilichen NotstandEine gefährliche neue Strategie

„Polizeilicher Notstand ist zugleich der Offenbarungseid für den Staat“, so das Verwaltungsgericht 2000

Der mit viel Brimborium vom Neonazi Thorsten de Vries und seinen Hoo­ligan-Freunden angekündigte rassistische Marsch zum „Tag der deutschen Patrioten“ ist ins Wasser gefallen – sowohl in Hamburg als auch am Ausweichstandort Bremen. Die Hamburger Polizei hatte den Marsch wegen zu erwartender Krawalle und aufgrund „polizeilichen Notstands“ verboten. Denn sie könne wegen der zu erwartenden Gegendemonstrationen den Marsch nicht ausreichend schützen, da andere Länderpolizeien nicht genügend Kräfte zur Unterstützung entsenden könnten, so die Begründung.

Das Verwaltungsgericht Hamburg ist dieser Argumentation gefolgt. Verblüffend, da gerade dieses Gericht im Jahr 2000 entschieden hatte, dass ein Demoverbot wegen polizeilichen Notstandes unrechtmäßig ist. „Polizeilicher Notstand ist zugleich der Offenbarungseid für den Staat“, hatte das Gericht damals argumentiert.

Das Oberverwaltungsgericht und zuletzt das Bundesverfassungsgericht folgten dennoch zähneknirschend dem Urteil, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Staat die Verwirklichung des Versammlungsrechts für alle „Grundrechtsträger“ durchzusetzen hat – oder dies zumindest versuchen muss.

Klar, dass das Hamburger Bündnis gegen Rechts das Verbot als einen Erfolg bewertet. Denn allein seine Ankündigung des Protestes bis zu Blockaden zeigte Wirkung.

Doch es bleibt ein fader Beigeschmack. War es doch in Hamburg immer eher so, dass die Polizei trotz Großaufgebots rechte Märsche nach wenigen hundert Metern abbrechen musste, weil sie nicht mit verhältnismäßigen Mitteln durchsetzbar waren.

Wenn es bei der Polizei Praxis wird, wie zuvor in Heidenau bei Dresden, wo das Bundesverfassungsgericht noch intervenierte, Demonstrationen wegen polizeilichen Notstandes zu verbieten, wird diese auch auf andere Versammlungen Anwendung finden. Es drängt sich aber der Verdacht auf, dass die Polizei auf diese Weise vor allem versucht, mehr Personal zu erhalten.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen