kohl im ausschuss: Mitten im Lügen – die CDU lebt
Unglaublich – und doch so glaublich. Kohl hat sein Schweigen gut vorbereitet. Wann immer Zeugen zum Spenden-Untersuchungsausschuss vorgeladen wurden: Der Altkanzler traf sich vorher mit den CDU-Abgeordneten, um die Fragen abzusprechen. Da diese Geheimaktion sicher nicht so zufällig war, wie die CDU dies gern vom Verschwinden der Akten im Kanzleramt behauptet, muss etwas bedeuten. Aber was?
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Zunächst einmal bedeutet es nicht, dass Kohls heimliche Rendezvous juristische Folgen für ihn haben werden. Da der Untersuchungsausschuss zwar formal nach den Regeln der Strafprozessordnung vorgeht, aber eben kein Strafprozess ist, ist auch Kohl kein Angeklagter, der nun unzulässig versucht hätte, die Zeugen zu beeinflussen. Als Fraktionsmitglied der CDU darf Kohl mit seinen Fraktionskollegen über jeden Ausschuss plaudern – und sei es über sich als Untersuchungsgegenstand. Auch wenn dies dem politischen Anstand widerspricht, den die CDU so gern für sich reklamiert.
Die Enthüllung der seltsamen Treffen in Kohls Büro kann auch nicht bedeuten, dass man jetzt endlich mehr über die windige Rolle der Unionsermittler wüsste. Ernüchterung ist nicht steigerbar. Und ernüchternd war die spitzfindige Hinhaltetaktik der CDU-Abgeordneten im Untersuchungsausschuss schon lange. Statt aufzuklären verklären sie lieber – ihren Exvorsitzenden.
Aber wie weit dessen Einfluss reicht, das überrascht. Schon hatte man sich daran gewöhnt, sich Kohl als alten Mann vorzustellen, der einsam auf seinem Bänkchen im Bundestag sitzt. Als jemanden, dem niemand mehr zum 70. Geburtstag gratuliert. Die Ära Kohl galt als überwunden – musste als überwunden gelten, wenn die CDU überleben sollte. Das Gegenteil stimmt: Das System Kohl lebt.
Die CDU-Abgeordneten, die sich mit dem Altkanzler heimlich trafen, müssen gewusst haben, wie groß der Imageschaden sein würde, wenn diese Verabredungen öffentlich werden. Dennoch sind sie und Kohl das Risiko eingegangen. Das heißt im Umkehrschluss: Es muss sich gelohnt haben. Es muss Geheimnisse geben, die ohne Absprachen allzu leicht bekannt werden. Wenn die richtigen Fragen gestellt werden. Es gibt also Hoffnung für den Untersuchungsausschuss – das ist die eigentliche Bedeutung von gestern.
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