piwik no script img

heute in hamburg„Es sind keine individuellen Dramen“

Foto: privat

Anika Ziemba, 31, arbeitet im 4. Autonomen Hamburger Frauenhaus und ist WenDo-Trainerin.

Interview Sophie Hansen

taz: Frau Ziemba, begünstigt unsere Gesellschaft Gewalt gegen Mädchen und Frauen?

Anika Ziemba: Ja. Das vordergründige strukturelle Problem ist, dass wir in einem Patriarchat leben. Also in einem System, das Männern mehr Macht zuspricht als Frauen – da gibt es viel Unterdrückung. Zwar gibt es politische Bemühungen, Dinge zu verändern, wie den berühmten „Nein-heißt-Nein“-Paragraphen. Spannend ist aber, dass diese Reformierung des Paragraphen nur durch die sogenannte Kölner Silvesternacht, also unter rassistischen Vorzeichen, stattgefunden hat.

Welche Frauen und Mädchen werden Opfer?

Es gibt eine repräsentative Studie von 2004, ich schätze, dass die nach wie vor aktuell ist. Da heißt es, dass jede vierte Frau Gewalt in ihrem sozialen Umfeld erfährt und jede dritte Frau ab dem 16. Lebensjahr mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt erfährt. Das sind offizielle Zahlen, die sind aber nur das Hellfeld. Gewalt ist ein sehr tabuisiertes, schambesetztes Thema. Das heißt, ganz viele Leute sprechen da gar nicht drüber. Jede vierte Frau heißt aber auch, dass jeder jemanden in seinem Umfeld hat, dem Gewalt widerfährt und der Gewalt verübt.

In welchen Formen zeigt sich diese Gewalt?

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Das populärste ist körperliche Gewalt, die ist auch am leichtesten nachzuweisen. Die Spanne ist aber viel größer: Es gibt psychologische Gewalt, ökonomische Gewalt, soziale Gewalt – also Kontrolle ausüben oder Frauen einsperren. Das sind alles Formen, die uns in Beziehungen häufig begegnen. Ich würde sogar weitergehen und sagen, dass Gewalt gegen Frauen in der gesellschaftlichen Struktur verankert ist.

Berichten Medien angemessen über Gewalt gegen Frauen und Mädchen?

Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelschicksal und keine Familientragödie. Es sind keine individuellen Dramen, es sind strukturelle Gewalttaten. Das muss sich in der medialen Berichterstattung widerspiegeln. Das Bild, dass der öffentliche Raum gefährlich ist, hat mit der Berichterstattung zu tun. Wenige Frauen werden beim Joggen im Park angegriffen, das taucht aber häufiger in den Medien auf.

Bündnisdemo „Gewalt an Frauen* ist politisch!“ zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen*, Kundgebung ab 17 Uhr Altonaer Bahnhof

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen