heute in hamburg: „Natürlichkeit als Konstrukt“
Identität Zur Pride Week will der Ver.di-Arbeitskreis „Regenbogen“ über Genderphilosophie sprechen
taz: Frau Reinhard, Sie werfen die Frage auf, ob Genderphilosophie nicht häufig ein „Ver-Sprechen“ ist. Was meinen Sie damit?
Miriam Reinhard: „Ver-Sprechen“ ist ein doppeldeutiger Begriff. Genderphilosophie möchte anders über Identität sprechen als es die Biologie, die Medizin oder die Philosophie des Idealismus tun. Diese diskursiven Ebenen haben oft Negative Konsequenzen für die Lebensrealität von Menschen. Genderphilosophie will ein anderes Sprechen praktizieren. Gleichzeitig aber, dadurch dass jede Philosophie eingebunden bleibt in die gesellschaftlichen Widersprüche, kann auch die Genderphilosophie das Versprechen eines anderen Sprechens nicht ganz erfüllen. Sie wird immer auch über ihre eigene Diskursivität stolpern.
Das klingt wenig erbaulich.
Vielleicht ist das etwas pessimistisch. Ich fühle mich damit dem Denken Adornos sehr verbunden, der eine „Negative Dialektik“ verfasste, mit der er die Widersprüche in dem Bewusstsein analysierte, ihnen nicht entkommen zu können. Keine Synthese. Keine Versöhnung. Ein Sprechen, das sich zwangsläufig verspricht. Aber es spricht. Es zeugt davon, dass es noch etwas gibt, wofür es sich lohnt, die Stimme zu erheben.
In der Genderphilosophie ist die „natürliche Identität“ ein zentraler Begriff, der kritisiert wird. Was meint er?
Er ist eine Konstruktion, die von einer irgendwie gearteten Natürlichkeit ausgeht, die etwa im Gegensatz zum Künstlichen, zum Medialen, zum Kulturellen erscheint. Bereits eine solche Grenzziehung ist nicht „natürlich“, sondern kulturell bestimmt.
Was folgt daraus?
Kritik daran zu üben, bedeutet nicht, dass alle Erkenntnisse, etwa der Biologie, irrelevant sind, sondern es wird die Frage gestellt, in welcher Weise bestimmte diskursive Ebenen ihr Wissen inszenieren, wie dieses Wissen zirkuliert und was damit bewirkt werden soll.
Interview André Zuschlag
Vortrag „Qu(e)er. Sprechen.“: 17 Uhr, Pride House (CVJM-Haus), An der Alster 40
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen