heute in hamburg: „Die Debatte fehlt“
Kritik Yasar Aydin referiert über Antisemitismus in muslimisch-migrantischen Milieus
taz: Herr Aydin, ist Antisemitismus in muslimisch-migrantischen Milieus besonders ausgeprägt?
Yasar Aydin: Ich möchte unterstreichen, dass Antisemitismus kein Randphänomen ist, sondern die ganze Gesellschaft betrifft.
Warum deutet dann der Untertitel Ihres Vortrags diese These an?
Es gibt eine Studie der Uni Hamburg aus dem Jahr 2014, wonach das Antisemitismus-Potenzial in migrantischen Milieus deutlich höher liegt als bei Deutschen ohne Migrationshintergrund.
Gibt es denn einen Unterschied zwischen muslimischem und christlichem Antisemitismus?
Im Christentum gibt es einen historischen Antijudaismus. Platt gesagt: „Die Juden haben Jesus ermordet.“ Im Islam ist Antijudaismus weit weniger ausgeprägt. Aber im Koran finden sich Stellen, die – wenn man sie aus dem Kontext reißt – problematisch sein können.
Zum Beispiel?
Da geht es um Formulierungen Mohammeds, die dieser im Zorn gesagt hat. Das missbrauchen manche Muslime.
In Deutschland ist ein Anti-Antisemitismus Konsens. Warum nicht in muslimisch-migrantischen Milieus?
Deutsche sind so sozialisiert, dass sie sich im Umgang mit Antisemitismus viel besser ausdrücken können. Die Leute wissen, was sie sagen dürfen – und was sie besser bloß denken. In Frankreich werden etwa Witze über Auschwitz gemacht, das wäre hier undenkbar; zumindest für normale Bürger. Sprich: Es gibt eine gewisse Tabuisierung, die einerseits gut ist, weil es unsere Arbeit gegen Antisemitismus auf eine breite Legitimation stützt.
Und der Nachteil?
Antisemitismus ist schwer auszumachen. Er wird besser versteckt, das ist ein zweischneidiges Schwert. Speziell in Deutschland gab es aber eine intensive Debatte. Die fehlt in arabischen Ländern. Entsprechend ist das Verhältnis zum Judentum ein anderes, das diskutiert werden muss.
Im Stile des Islamkritikers Abdel-Samad?
Nein! Bei ihm fehlt mir die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus. So wie bei Antisemiten die Differenzierung zwischen Israel und dem Judentum fehlt.
Wie kritisiert man richtig?
Häufig kippt die Israelkritik in Antisemitismus um, das muss nicht sein.
Interview: David Joram
Antisemitismus, 17 Uhr, Karolinenstraße 35
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