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heute in Bremen„Keine Spezialpädagogik“

VORTRAG Historiker des Denkorts Bunker Valentin diskutiert Probleme der Gedenkstätten-Arbeit

Marcus Meyer

40, Historiker, ist seit 2011 der wissenschaftliche Leiter des Denkorts Bunker Valentin und Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung.

taz: Herr Meyer, von SchülerInnen hört man oft, sie seien der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus überdrüssig. Begegnet Ihnen das auch in Ihrer Arbeit beim Denkort Bunker Valentin?

Marcus Meyer: Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich das ist, selbst innerhalb eines Bundeslandes. Mir begegnen Schülerinnen und Schüler, die sich bei uns zum ersten Mal mit dem Nationalsozialismus beschäftigen.

Man kann Abitur machen und nichts über den Nationalsozialismus gelernt haben?

Ja, zumindest kam es manchmal im Unterricht nur sehr rudimentär vor. Es gibt Schülerinnen und Schüler, wo wir Grundlagenfragen beantworten müssen. Für die Gedenkstättenpädagogik ist das eine Herausforderung.

Wenn das Wissen über die NS-Verbrechen auch heute Faschismus, Rassismus und Antisemitismus verhindern soll, ist vor dem aktuellen Erfolg der Rechtspopulisten – etwa in Sachsen-Anhalt – die Aufklärung zu kurz gekommen?

Der Erfolg von Rechtspopulisten ist sicherlich nicht nur auf zu wenig historische Bildung zurück zuführen. Der teilweise erhebliche Mangel an Empathie den Geflüchteten gegenüber sowie die Hetzte gegen „den Islam“ und „die Lügenpresse“ schon eher. Das sind Phänomene, die mir unangenehm bekannt vorkommen.

Kann ein Gedenkstätten-Besuch dagegen helfen?

Im Idealfall sind Schülerinnen und Schüler drei bis fünf Stunden bei uns. Wir können zum Nachdenken anregen, aber nicht kompensieren, was in anderen Bereichen nicht stattfindet. Aber etwa das Phänomen, was es bedeuten kann, aus dem Heimatland herausgerissen zu werden, und in einem anderen Land eingepfercht oder schlecht behandelt zu werden – das kann man in diesem Rahmen schon thematisieren.

Braucht es in der Migrationsgesellschaft eine andere Gedenkstätten-Pädagogik?

Einem 14-Jährigen muss ich die Sinnhaftigkeit erklären, sich mit dem NS zu beschäftigen – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Für einen 14-jährigen Deutschen ist das, was sein Urgroßvater gemacht hat, genauso abstrakt und ohne Bezug zur Lebensrealität wie etwa für einen Jungen aus Syrien. Wir brauchen also keine Spezialpädagogik für Minderheiten, sondern müssen das Interesse für die NS-Geschichte grundsätzlich aufrechterhalten.

Interview:jpb

18.30 Uhr, Infoladen Katzensprung, Lindenstraße 1b, Bremen-Vegesack

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