geht’s noch?: Der Platzhaltmaier
Wir leben in einer Zeit, in der sich plötzlich junge Leute für Volkswirtschaft interessieren. Derweil sind die Phrasen der Berufsökonomen immer noch zum Abgewöhnen
Das Herbstgutachten der Deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ist da, und die Nachrichten für Deutschland sind weniger schlecht als gedacht. Uff. Abschwung ja, aber die Experten sprechen auch von „Erholung“, die sich bald wieder einstellen könnte. Trotzdem natürlich kein Grund sich zurückzulehnen, wir haben schließlich einen bevorstehenden Brexit an der Backe, einen Handelsstreit mit Trump und obendrein haben wir Klimaziele einzuhalten. Es war selten so höchste Zeit für frisches Denken in Sachen Wirtschaftspolitik.
Zum Glück gibt’s kundige Politiker, die für ihre Visionen werben, wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Der hat diese Woche einen Pressetermin in Berlin zum Anlass genommen, ein paar wirtschaftspolitische Ideen einfließen zu lassen. Die waren allerdings leider zum Abgewöhnen: „Wir brauchen dringend jetzt Wachstumspolitik mit strukturellen Verbesserungen und Steuerentlastungen und Bürokratieabbau“, sagte der CDU-Politiker. „Weil wir eben einen Abschwung, aber keine Konjunkturkrise erleben, ist es wichtig, dass wir alles tun, dass sich der Aufschwung nach einer Pause nachhaltig und dauerhaft fortsetzen kann.“
„Nachhaltig“, das klingt doch toll – wobei, was soll noch mal nachhaltig sein? „Das Wachstum“. In einer Welt, in der fast alle großen Probleme auf zu hohem Ressourcenverbrauch beruhen, bedeutet Wachstum leider das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Die Fridays for Future haben das gecheckt – und der Rest? Altmaier jedenfalls ist sich nicht zu schade, die Worte der ökologisch Progressiven in den Mund zu nehmen, um denselben alten ökologisch reaktionären Kram abzulassen.
Und drum herum jede Menge Worthülsen – „Strukturelle Verbesserungen“, „Bürokratieabbau“, alles eintausendmal gehört. Soll das einschläfern? Abzulenken davon, dass kein „Aufschwung dauerhaft fortgesetzt“ werden kann?
Altmaier ist ein Politiker, der intelligenter ist als die Worte, die er an dieser Stelle zusammengekratzt hat. Der Minister spricht in Platzhaltern, die dieses und jenes heißen können und dann obendrein noch widersprüchlich.
Draußen interessieren sich neuerdings plötzlich massenweise junge Leute für Wirtschaftspolitik. Und wissen, dass ein bisschen Erholung vom Abschwung nicht bedeutet, dass irgendetwas gerettet ist. Wissen, dass es neue Ideen braucht, dass auch Schmerzhaftes ausgesprochen gehört, dass neu gedacht werden muss. Für all jene Leute ist Geschwätz von dieser Sorte wirklich zum Haareraufen. Clemens Sarholz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen