piwik no script img

geht’s noch?Hitzeunfrei in NRW

Unterricht fällt erst aus, wenn es im Klassenraum heißer als 27 Grad ist, sagt das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen. Und selbst dann nicht zwingend. Na dann, viel Lernvergnügen!

Alle Klassenarbeiten sind geschrieben, die Noten verteilt, und sogar Oberstudienrat Schnoofkeppe hat keine Arbeitsblätter mehr, mit denen er die 7b noch 45 Minuten beschäftigen könnte. In den letzten Schultagen vor den Ferien schleppen sich Lehrkräfte und Schüler*innen nur noch so halbgar durch die Gänge, bewaffnet mit DVDs, Spielen und sonstigen Bestechungsmethoden. Und dann ist es auch noch brüllend heiß.

In drei Bundesländern, man glaubt es von Berlin aus kaum, findet noch Unterricht statt, darunter Nordrhein-Westfalen. Dort hat das Schulministerium diese Woche klargestellt, wann Schüler*innen eigentlich Hitzefrei bekommen. Das Ergebnis: Macht euch bloß keine Hoffnung.

Die Temperatur im Klassenzimmer sei ausschlaggebend, sagte das Ministerium dem WDR. Habe es dort mehr als 27 Grad Celsius, können Schulleitungen aktiv werden – müssen es aber nicht. Wenn die Temperatur im Klassenraum sogar auf über 30 Grad steige, könne man „die Lockerung von Bekleidungsregeln“ und „das Bereitstellen von Trinkwasser“ veranlassen.

In der Fünften hielt meine Klasse eine Kundgebung vor der Bürotür des Schuldirektors ab. Wir skandierten „Schule is’ne Schweinerei, wir wollen Hitzefrei!“ Woraufhin man uns sachlich erklärte, für Hitzefrei sei erforderlich, dass um 10 Uhr morgens am kältesten Ort der Schule 26 Grad gemessen worden seien. Ich stelle mir noch heute vor, wie sie eine Verwaltungskraft mit dem Thermometer in den Keller schicken. Letztlich bekam ich in meiner Schulzeit kein einziges Mal Hitzefrei, nicht mal im „Jahrhundertsommer“ 2003. Dabei hätte man uns nicht mal unbedingt nach Hause schicken (und damit den Tagesplan unserer Eltern durcheinanderbringen) müssen. Es hätte gereicht zu sagen: Leute, wir sehen es ein, das hat hier heute keinen Sinn mehr. Sucht euch alle ein schattiges Plätzchen auf dem Schulgelände und chillt!

Heute wundere ich mich wieder über die Regeln, die NRW aufstellt. Bei 27 Grad im Klassenzimmer soll noch irgendjemand ernsthaft versuchen, Unterricht durchzuziehen? Und ab 31 Grad kriegt ihr alle’ne Flasche Wasser in die Hand gedrückt und dürft die Schuhe ausziehen – aber macht es euch bloß nicht zu gemütlich, denn wir hören trotzdem noch Gero-Noëls Powerpointpräsentation über das Leben von Jimi Hendrix.

Ernsthaft? Macht euch locker, NRW, niemand, wirklich niemand hat noch Lust. Geht doch einfach Eis essen!

Peter Weissenburger

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen