einsamer trittin: Zur Unterstützung verdammt
Es war Werner Müller, der gestern den Anstand besaß, im Bundestag auf einige Qualitäten des Umweltministers hinzuweisen. Geradlinig sei er, stehe zu Kompromissen in schwieriger Zeit. Dass der parteilose Wirtschaftsminister lobende Worte fand, wo Sozialdemokraten und Grüne sich eher in pflichtschuldiger Verteidigung hervortaten – das zeigt, wie einsam es um Trittin wirklich ist.
Kommentarvon SEVERIN WEILAND
Er, der es jahrelang verstand, den linken Widerpart zu Joschka Fischer abzugeben, hat anscheinend den Spürsinn für die parteiinterne Machtbalance verloren. Dieses Gefühl war für Trittin stets ein Karrieregarant. Er wusste, dass er die Popularität eines Joschka Fischer nie erreichen würde. Doch seitdem Teile der Linken auf Distanz gehen, weil er mit saloppen Formulierungen die Castor-Proteste kritisierte, ist Trittin ein Minister ohne Anbindung, ja ohne Fundament.
Das ist das eigentlich Tragische an Jürgen Trittin. Der kühle Taktiker, er hat sich mit seinen diversen Äußerungen, zuletzt zum CDU-Generalsekretär Meyer, an den Rand des Zumutbaren gebracht – und zwar flügelübergreifend. Vor aller Augen, von den Medien, aber schlimmer noch durch Äußerungen aus seiner eigenen Partei gedemütigt, ist Trittin auf die undankbarste aller Rollen beschränkt: auf die eines kraftlosen Ministers.
Wie soll er künftig die Energiewirtschaft drängen, ihre Unterschrift unter den Atomkonsens zu setzen? Wie grüne Vorstellungen in der neuen Verordnung zum Dosenpfand auch gegen die Getränkehersteller durchsetzen? Die Vermutung bleibt: Trittin wird zu Vorsicht selbst da gezwungen sein, wo Streit sich lohnt. Dagegen steht die Sorge aus Fraktion und Partei, jeder noch so sachlich begründete Konflikt, an dem Trittin beteiligt ist, könnte zu einer Krise herbeigeredet werden. Manche Grüne hoffen geradezu inbrünstig auf eine derartige (Selbst-)Disziplinierung des Risiko-Ministers.
Was sie dabei jedoch verdrängen, ist die Bedeutung, die Umweltthemen für grüne Wähler haben. Deshalb bleibt den Grünen, hat sich die Wut erst einmal gelegt, nichts anderes übrig, als Trittin in Konflikten beizustehen, die sich aus seiner Arbeit als Umweltminister ergeben. Dieser Zwang zur Unterstützung, das ist mit Sicherheit die größte Bürde für die Mehrheit der Grünen. Und vielleicht Trittins allergrößtes Glück. Bis 2002. Denn dass der Umweltminister eine zweite Amtszeit haben wird, daran dürfte der Realist Trittin ohnehin nicht mehr glauben.
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