Social Media: Warum TikTok nicht weiß, ob du ADHS hast
Gerade junge Menschen informieren sich gerne auf TikTok über Gesundheitsthemen. Eine Studie zeigt, wie sehr das in die Irre führen kann.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist seit Jahren ein großes Thema. Hauptsymptome dieser neurologischen Prädisposition sind Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität. Wer sich dazu allerdings auf Tiktok informieren will – vielleicht auch, weil Arzttermine für die Diagnostik schwer zu kriegen sind –, stößt dort auf ziemlich viele irreführende Informationen. Eine Studie im PLOS ONE Journal hat untersucht, wie sich das auswirkt.
Die Studie
Auf ADHS spezialisierte Psycholog*innen untersuchten die 100 beliebtesten englischsprachigen TikTok-Videos, die unter dem Hashtag #ADHD veröffentlicht wurden. Meist werden diese von selbsternannten Expert*innen ins Netz gestellt. In über der Hälfte fanden die Forschenden Falschinformationen. Die meisten Videos zeigten außerdem fast ausschließlich Symptome, nur 8 Prozent stellten Therapieansätze vor.
Besonders irreführend sei, so die Forschenden, dass über zwei Drittel der als ADHS-typisch dargestellten Symptome eher normalem Alltagsverhalten zuzuordnen seien – wie zum Beispiel die Gewohnheit, das Handy zu verlegen. Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass der Konsum der TikTok-Videos dazu führe, dass Menschen die eigene Betroffenheit und auch die Belastung durch ADHS überschätzen. Die Videos bestärkten so vor allem Jugendliche mit selbst diagnostiziertem ADHS in ihrer Annahme, tatsächlich daran zu leiden.
Konkret wird das auch an diesem Ergebnis: Befragt, wie hoch sie den Anteil an von ADHS Betroffenen in der Bevölkerung einschätzten, tippten die TikTok-Konsument*innen auf etwa ein Drittel. In Wahrheit haben aber nur 2 bis 3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ADHS, bei Kindern und Jugendlichen sind es etwa 5 Prozent.
Was bringt’s?
Die Studie ist ein gutes Beispiel dafür, wie das sogenannte Priming auf Social Media funktioniert. Damit ist der Effekt gemeint, dass vorherige Eindrücke unsere Wahrnehmung beeinflussen. Allein die Tatsache, dass ADHS-Videos geschaut werden, beeinflusst unbewusst die Perspektive auf die eigenen Marotten und führt zu Gedankengängen wie „Stimmt, ich verlege auch ständig mein Handy – dann habe ich wohl auch ADHS“. Das ist umso problematischer, wenn der Algorithmus Unterhaltungswert vor Qualität stellt.
Dennoch haben diese Videos auch ihren Wert, denn sie tragen zur Entstigmatisierung von ADHS bei, sagen unabhängige Expert*innen. Sie raten renommierten Gesundheitsorganisationen, sich bewusst mit qualitativ hochwertigen Inhalten auf der Plattform zu präsentieren und für die Zielgruppe auffindbar zu machen. Dafür müssen die Organisationen jetzt nur noch lernen, wie man diese Qualitätsvideos algorithmusgerecht verkauft. Vielleicht geben ihnen die erfolgreichen Creators ja etwas Nachhilfe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Palantir in Deutschland
Peter Thiel is watching you
Umstrittene Rede bei „Freie Bauern“-Demo
Naturschützer mit Hexenverbrennern gleichgesetzt
Immer mehr Kirchenaustritte
Die Schäfchen laufen ihnen in Scharen davon
Marine Le Pen verurteilt
Adieu, Madame!
Politik für die Zukunft
Warum ist Robert Habecks Politikstil gescheitert?
Wo die AfD nicht sticht
Ein Einzelfall