die wahrheit: Die Astro-Diät
Die fatalen Folgen des Haa-schu Gebuta-Trends.
Hilde B. sieht nicht gut aus. Ihr Gesicht ist eingefallen und fahl, die Augen hocken tief in ihren dunklen Höhlen und zucken wild umher. Während sie im Warteraum der Spezialklinik für Essstörungen in Brüttenrode sitzt, krächzt sie immer wieder unverständliche Sätze: "Zwergziegen, Rüben, lasst mich Salz essen!" Plötzlich schnellt sie hoch und rudert reflexartig mit den Zahnstocherarmen. Eine Krankenschwester eilt herbei und versucht sie zu beruhigen. "Doktor! Noch eine mit Haa-Schu Gebuta!", ruft sie dem Oberarzt zu. Der hat schon die Spritze mit Nährlösung im Anschlag.
Fälle wie der von Hilde häufen sich in jüngster Zeit: Aus dem ganzen Bundesgebiet kamen in den vergangenen Wochen hunderte Patienten mit Symptomen extremer Fehlernährung in die Spezialklinik ins hessische Brüttenrode. Nur dort haben sie noch eine letzte Chance, den fatalen Folgen ihrer eigenen Unvernunft zu entgehen. "Das liegt alles an dieser neuen Trend-Diät", schimpft Dr. Hasenbusch, Leiter der Klinik und staatlich anerkannter Ernährungsberater. Schon kurz vor Weihnachten habe es angefangen, dass immer mehr extrem fehlernährte Patienten in der Klinik auftauchten. "Das nennt sich Haa-schu Gebuta", erklärt er, "eine Abkürzung für Haarfarbe, Schuhgröße, Geburtstag. Der pure hirnverbrannte Schwachsinn."
So unglaublich es sich auch anhört, es ist bittere Realität. Haa-schu Gebuta ist die neueste Ausgeburt des Schönheits- und Schlankheitswahns, welche gerade jetzt, da sich viele Menschen daranmachen, ihre guten Vorsätze in die Tat umzusetzen, auf ausgesprochen fruchtbaren Boden fällt. Erfunden hat diese spezielle Ernährungsform der Amerikaner Dr. Stanley Stingnick. In seinen zahlreichen Büchern zum Thema Ernährung verspricht er, dass Anwender seiner Diät sowohl körperlich als auch geistig auf die nächste Stufe der Existenz gelangen könnten. Das Geheimnis dabei sei es, die physischen und astrologischen Kenndaten eines Menschen zu erfassen und daraus einen individuellen Speiseplan zu erarbeiten.
Basis des Konzepts ist die ernährungstechnische Dreifaltigkeit aus Haarfarbe, Schuhgröße und Geburtsdatum. Und um diese genau zu bestimmen, bietet Dr. Stingnick spezielle Farbtests, Schuhgrößenvermessung per Laser und eine sterndeuterische Feinbestimmung des Geburtstagskoeffizienten durch ausgebildete Speiseastrologen an. Daraus ergibt sich ein für jeden Menschen einzigartiger Ernährungsplan. Oder auch der "Fahrplan in den schleichenden Tod", wie Dr. Hasenbusch es verärgert nennt. "Ich kann gar nicht fassen, dass Menschen auf so eine gefährliche und offensichtlich idiotische Sache hereinfallen - und dann bezahlen sie dafür auch noch Geld!", echauffiert er sich.
Im Grunde ist das Konzept denkbar einfach: Man darf nichts essen, das in Länge oder Breite die eigene Schuhgröße übersteigt oder nicht der eigenen Haarfarbe entspricht. Alles andere hält Stingwick für "widernatürlich". Kern der Diät ist aber das Geburtsdatum: Auf dem Plan stehen nur noch Dinge, die im Monat der Geburt geerntet werden oder die mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Gegessen werden dürfen auch Tiere des eigenen Sternzeichens, unter anderem also Löwen, Widder oder Skorpione. Letzteres ist natürlich etwas ungerecht, denn Jungfrauen, Waagen oder Schützen gehen dabei leer aus. Ob sich Zwillinge des Sternzeichens Zwilling gegenseitig verspeisen dürfen, ist noch nicht eindeutig geklärt.
Mittlerweile ist die Stingwick-Methode zu einem Millionengeschäft geworden. Findige Geschäftsleute überall auf der Welt haben sich Lizenzen gesichert und bieten die Diätpläne samt zugehöriger Nahrungsergänzungspräparate an. Diese bestehen in der Regel zwar nur aus Kompost, Sägemehl und übrig gebliebenen Fettsäuren aus der Biodiesel-Herstellung, werden aber ansprechend aromatisiert.
Auch Kochbücher mit praktischen Haa-schu Gebuta-Tabellen sind mittlerweile im Handel. Hier kann man sich einfach mittels Spalten-und-Zeilen-Verfahren für jeden Tag ein schmackhaftes Menü zusammenstellen. So ergeben sich mitunter interessante Kombinationen, wie etwa: Zitronenfrosch im Blätterteigmantel an einem Sud aus Agavendicksaft und Hufnagel-Krokant. Als Nachspeise Hirse-Nelken-Parfait. Alternativ geht auch Bratwurst mit Erdbeeren.
"Hafer, Hafer, Hafer …", lallt die völlig weggetretene Hilde B. und grinst die Decke an. "Nach der Spritze sind sie immer wie auf Heroin", sagt Dr. Hasenbusch trocken und schiebt das in letzter Sekunde gerettete Stingwick-Opfer in den Fahrstuhl. "Die wird wieder", verspricht er. Dann schreit es erneut aus der Wartehalle: "Doktor, Doktor, Alarmstufe 1! Haa-schu Gebuta-Zwillinge im Endstadium!
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