die wahrheit: Löwen für die Kleinen
Dr. Norbert Bernhards Augen leuchten glücklich, als er mit stolzgeschwellter Brust vor die versammelte Weltpresse tritt. "Das ist eine Sensation!" ...
... jubelt er, "das ist eine absolute Sensation!" Bernhard ist Direktor des Pforzheimer Zoos - und damit Leiter des weltweit einzigen Tierparks, der in seinem Streichelgehege echte Löwen hält.
"Die Besucherzahlen waren schon seit Jahren rückläufig", erzählt er uns, "da mussten wir gegensteuern." Es galt, Ideen für Strategien zu entwickeln, die den Zoo vor allem für die jüngeren und jüngsten Besucher wieder attraktiver machen sollten. "Die Kids hocken ja heutzutage alle nur noch im Internet herum und interessieren sich nicht mehr für die Natur. Und wenn so ein Kind sich dann doch mal ein Tier ansehen will, dann holt es sich das per Google oder YouTube." Also musste der Pforzheimer Zoo den Jugendlichen etwas anbieten, das weder im Internet noch sonst wo zu haben war. "Und dann kam mir die Idee!", triumphiert der leicht untersetzte Mittfünfziger, und seine Kopfhaut unter dem schütteren Haar verfärbt sich rosig. "Den jungen Leuten kann man zu diesen Zeiten nicht mehr damit kommen, dass sie Raubtiere hinter Gittern oder Glas ansehen sollen oder mal ein Hängebauchschwein oder ein paar Meerschweinchen und Shetlandponys oder Hühner streicheln dürfen. Die wollen Action und Abenteuer pur, etwas, womit sie vor ihren Kumpels richtig angeben können!"
Bernhard selbst erinnert sich daran, dass er als Kind oft davon geträumt hat, mit Löwen oder Tigern herumzutollen und mit den kraftvollen Tieren spielerisch seine Kräfte zu messen - Auge in Auge mit den prächtigen Raubkatzen zu stehen und vor ihrem furchteinflößendem Gebrüll mit erregendem Schaudern zu erbeben. "Das war es, was ich in unserem Streichelzoo bieten wollte: Löwen zum Anfassen!"
Über die ersten Versuche, mit Löwen und Kindern im Streichelgehege spricht Bernhard allerdings nicht gern: "Darüber spreche ich nicht gern." Auch über die folgenden Versuche spricht er nicht sehr gern: "Darüber spreche ich auch nicht sehr gern."
Sicher scheint zu sein, dass sich die Löwen zunächst als wirklich sehr verspielte Tiere erwiesen hatten, die sich im "Kräftemessen" und im "Herumtollen" mit den kleinen Besuchern nicht wirklich beherrschen konnten und meist weit über das Ziel hinausschossen. Nun war guter Rat teuer. Und zwar sehr teuer, denn Dr. Bernhard entschied sich dafür, einen Löwenflüsterer aus Kasachstan zu engagieren, der ihm auf sein Inserat im Pforzheimer Morgenecho geantwortet hatte. Das Inserat lautete:
Suche Löwenflüsterer, der handzahme und kindgerechte Kuscheltiere aus unseren Zoolöwen macht. Wichtig: Löwen sollen nach Behandlung nicht mehr beißen. Chiffre: 178czWZ0179
"Allein die Anzeige hat mich 30 Euro gekostet", poltert der Zoodirektor jetzt sichtlich erzürnt los. "Und der Löwenflüsterer verlangte tatsächlich 10.000 Euro für das Flüstern. Ist das nicht unglaublich? Nun gut, das war es mir wert. Ich überwies ihm das Geld und schickte ihm also unsere sieben Löwen - aber allein das Verladen und der Transport der Raubkatzen nach Kasachstan verschlang Unsummen. Nach elf Wochen bekamen wir die Tiere dann zurück - und ich war begeistert!"
Vor Ungeduld können die versammelten Medienvertreter nun kaum mehr ruhig auf ihren Stühlen sitzen. Sie wollen endlich, endlich die Kinder und die Löwen im Streichelgehege des Pforzheimer Zoos sehen. Einem Tambourmajor gleich führt Dr. Norbert Bernhard die ungleiche Truppe an. Der Direktor führt sie zum Streichelgehege. Er hebt den Arm. Die Kinder werden eingelassen. Wieder hebt er den Arm. Der Schieber des Löwentunnels wird hochgezogen. Und die Löwen tollen herein …
Was dann passiert, kann aus Gründen der freiwilligen Selbstkontrolle hier nicht geschildert werden. Nur so viel sei erwähnt, dass die Löwen sich in einen wahren Spielrausch hineinsteigerten, während die Medienvertreter sich voller Grauen und Entsetzen reflexartig abwandten und die Hände vor die Gesichter schlugen. Das ist Abenteuer und Action pur! Damit können die Kids vor den Kumpels angeben! Jedenfalls die überlebenden.
Dr. Norbert Bernhard, der am ganzen Körper errötet und abwechselnd "peinlich, peinlich" und "10.000 Euro" stammelt, möchte später nicht gern darüber reden.
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