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die steile theseEin gerechtes Steuersystem ist möglich. Mithilfe von künstlicher Intelligenz

Von Ingo Arzt

Wie leicht ist es doch, sich über die Reichen zu echauffieren. Die gierigen Banken, die Bonzen, die ihr Geld in Steueroasen bunkern, die Anzugträgermillionarios samt ihren skrupellosen Anwälten, möge ein tropischer Piranha sie dorthin beißen, wo es am meisten wehtut. Bitte googlen Sie jetzt noch nach einem passenden Zitat von Bertolt Brecht.

Sozialneid ist ein Urrecht der wenig Begüterten, den Reichen die Pest an den Hals zu wünschen ist fast schon ihre Pflicht. Außerdem ist es ein sehr empfehlenswerter Akt der Psychohygiene. Es ist allemal besser, als angesichts der neuen Enthüllungen um die Paradise Papers zur Beruhigung schulterzuckend in die nächste Shopping-Mall zu gehen und ein völlig überteuertes Mobiltelefon zu kaufen, das – geil! – 200 Millionen Songs speichern kann und siebenunddreißig Milliarden Gigapixel Auflösung hat. Konsum-Shit ist eben die Luxusjacht des gewöhnlichen Menschen.

Reden wir ganz kurz mal über Moral im Allgemeinen und dann erst über Steuern und Steuer­oasen. Was muss ein Mensch tun, um ein gerechter Mensch zu sein? So leben, dass er anderen heute und künftig nicht die Lebensgrundlage raubt, das wäre vielleicht ein Ansatz. Wir – ich spreche von aufgeklärten Fans des kategorischen Imperativs – verstoßen permanent gegen diesen Grundsatz. Wir fliegen und fressen, shoppen Schuhe und Schönes aus Lohnsklaverei. Zum Glück gibt’s ja ein Biosiegel.

Kann man dagegen was machen? Das globale System ist, wie es ist, wer perfekt Leben will, muss sich hauptberuflich um ethisches Verhalten kümmern und kann kaum mehr mittun im Leben der Allgemeinheit. So zumindest handeln die meisten. Man kann anders, wenn mal will. Konsummoral ist eine Frage des persönlichen Lebensstils, genauso wie für Reiche die Frage der Steuermoral. Wobei – auch für die meisten Normalbetuchten hört Steuern zahlen dort auf, wo die Gesetzeslücke beginnt: Wie viele Journalisten haben nicht schon mal auf einer privaten Auslandsreise den einen oder anderen zweitrangigen Recherche­pseudotermin gelegt, um den Flug von der Steuer absetzen zu können?

Trotzdem soll der Verweis auf eigene Heuchelei keine Entschuldigung sein für die Steuertricks mancher Superreicher und Großkonzerne. Denn die tragen nicht einfach durch simples Leben im reichen Teil der Welt zur globalen Ungerechtigkeit bei. Nein, sie bauen aktiv an dem System mit und untergraben Bemühungen, es zu reformieren, was ein großer Unterschied zu uns Alltagssündern ist. Auf die Ebene der Normal­sterblichen übertragen, müsste man sich schon aktiv für mehr Ausbeutung in Entwicklungsländern einsetzen, auf dass die Schokolade dort billiger werde.

Steuerflucht zu betreiben, um den dritten Ferrari zu kaufen, ist außerdem was anderes, als sich als Normalverdiener durchs Leben zu boxen und ein paar hundert Euro mehr vom Finanzamt zurückzubekommen. Die Kohle geht nach der nächsten Mieterhöhung sowieso an den nächsten Finanzinvestor, der gerade den Kiez aufkauft. Mit Moral jedoch, so viel sei bis dato aufgezeigt, ist in der Debatte um Steuerflucht nicht viel zu holen. Warum, fragen sich viele, tut denn dann der Staat nichts? Warum gibt es so viele Steuerschlupflöcher und warum werden die nicht gestopft? Es gibt ja einen Haufen guter Vorschläge dagegen. Das hat im Prinzip zwei Gründe: Ideologie und Komplexität.

Bei der Frage der Komplexität laufen die Fäden zusammen

Der ideologische Grund ist der Irrglaube, dass Steuerwettbewerb heilsam sei. Das führt dazu, dass Staaten untereinander nicht um die besten Konzepte für mehr Gerechtigkeit konkurrieren, sondern um Kapital. Das geschieht ganz bewusst. Nur einige Beispiele: innerhalb Deutschlands zwischen den Kommunen. Und in der EU ist es eine politische Entscheidung, Steuern national zu erheben. Sanktionen gegen Länder, die Steuerdumping betreiben, sind fast unmöglich, weil die Doktrin der Offenheit der Märkte stets Vorrang hat – übrigens auch vor Menschenrechten.

Natürlich ist es völlig illusorisch, weltweit die gleichen Steuersätze zu erheben, und auch nicht wünschenswert, weil die Vorstellung einer Weltregierung, die so etwas tun müsste, totalitäre Panik auslöst. Aber die derzeit vorherrschende Extremform der Steuerideologie geht so weit, dass es noch nicht einmal zu einer Minimaleinigung reicht: Tatsächlich sind international eine Menge Reformen in der Mache. Bald tauschen mehr als 100 Staaten Daten über Bankkonten aus, und zumindest Finanzämter sollen bald wissen, wer die Nutznießer von Briefkastenfirmen sind – die Regeln sind aber voller Schlupflöcher, die Strafen bei Verstößen gering.

Es ist nicht einmal europaweit durchsetzbar, Staaten als Steueroasen zu brandmarken, die keine Unternehmensteuer erheben. Das ist schlichter Marktextremismus. Der, ganz nebenbei, den Wettbewerb verzerrt, weil der ehrliche Konzern der dumme ist. Angesichts internationaler Konkurrenz auf freiwillige Steuermoral zu hoffen ist so naiv wie der Glaube, beim nächsten Krieg könnten einfach alle zu Hause bleiben. Und insgeheim haben Steuerschlupflöcher den praktischen politischen Nebeneffekt, dass sie sich bei einer dankbaren Wirtschaft als niedrigere Besteuerung materialisieren. Das senkt den politischen Anreiz, sie zu stopfen. Sie würden wie eine Steuererhöhung wirken. Möglicherweise müsste man dann den Unternehmen entgegenkommen – und nervigen Wählern erklären, warum die Unternehmensteuern sinken. Fragen Sie mal die letzte rot-grüne Bundesregierung, wie so etwas ankommt.

Der zweite Punkt ist die Komplexität. Jeder transnationale Konzern ist in Dutzende, meist sogar Hunderte Töchter und Teile zergliedert. Er ist abhängig von Hunderten, gar Tausenden Zulieferern, und das alles bei fast 200 verschiedenen nationalen Gesetzgebungen, die wiederum untereinander in unzähligen Verträgen Handels- und Steuerfragen klären. Über das Ganze wird dann eine Sauce aus internationalen Guidelines und freiwilligen Richtlinien gekippt, die von der OECD, den G20, der WTO, der UN oder in Freihandelsverträgen zusammengerührt werden. Wer checkt ein solches Tohuwabohu noch?

Bei der Frage der Komplexität und wie man sie noch administrieren kann, laufen die großen Themen zusammen: Finanzmarktstabilität, die Frage, welche Konzerne in ihren Lieferketten Sauereien dulden, Steuerflucht und die Idee einer Welt, die bis in 12 Jahren mit den sogenannten nachhaltigen Entwicklungszielen Hunger und Armut besiegt haben will. So haben es die Staaten der Welt im Jahr 2015 im Rahmen der Vereinten Nationen vereinbart. Spätere Generationen werden darüber genauso schmunzeln wie wir heute über realsozialistische Versprechungen.

Gut, der Job einer Utopie ist es, wenigstens ins die richtige Richtung zu schauen. Der Science-Fiction Autor Leif Randt hat in seinem Roman „Planet Magnon“ den Computer ActualSanity erdacht, der als künstliche Intelligenz in einem Shuttle über den Menschen schwebt und alle Güter gerecht verteilt. Die Idee ist nicht schlecht. Tatsächlich lässt sich die Frage, welcher Konzern wie gerecht oder ungerecht in einer unfassbar komplexen Welt handelt, nur noch mithilfe des massiven Einsatzes von künstlicher Intelligenz lösen. Die Informationsmengen sind schlicht zu groß.

Eine Art global-technoide Komplettüberwachung ist die realistischste Möglichkeit, weltweite Steuergerechtigkeit zu schaffen. Was uns zu einer dystopischen Frage führt. Wie viele Daten über Konten und Vermögen ihrer Bürger sollen staatliche Behörden eigentlich haben? Nicht falsch verstehen: Das Problem unserer Tage ist, dass sich die Früchte der Weltwirtschaft bei immer weniger Menschen ballen – und sich ein Teil der globalen Geldaristokratie aus ihrer sozialen Verantwortung stiehlt. Das gilt es zu lösen. Das Problem der Zukunft wird aber sein, dass aus dem Kampf gegen diese Ungerechtigkeit kein totalitärer Weltstaat entsteht.

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