die sache ist: Frau als Tisch
B. Ingrid Olson ironisiert im Braunschweiger Kunstverein den männlichen Künstlerblick auf Frauenkörper als bloße Unterlage
Die Frau und die Kunst: Das ist, gelinde gesagt, eine problematische Beziehung. Die Guerilla Girls, eine Gruppe feministischer Kunstaktivistinnen aus den USA, fragten ja vor vielen Jahren einmal, ob Frauen nackt sein müssen, um ins Museum zu kommen. Sie meinten damit den Missstand, dass Frauen als weibliche Akte seit Urzeiten und in Unmengen in großen Kunstmuseen hängen, als tätige, anerkannte Künstlerinnen aber stark unterrepräsentiert sind.
In all diesen Aktdarstellungen – Allegorien auf Gottheiten, religiöse Motive oder heroisch-historische Themen wie die Französische Revolution, angeführt von einer halb entblößten Marianne – geht es also nicht um die Individualität einer Frau, einer bemerkenswerten Persönlichkeit, sondern um die Verdinglichung des weiblichen Körpers.
Dieser „trägt“ förmlich die Bildidee: ein Umstand, den männliche Künstler der Gegenwart zuspitzten – emanzipativ provokant, oder doch nur sexistisch machohaft? Wie etwa die Pop-Art-Objekte des Briten Allen Jones, Jahrgang 1937: eine gläserne Tischplatte, ruhend auf der naturalistischen Nachbildung einer auf ihren Knien gebückten Frau in SM-inspiriertem Outfit, natürlich mit nackten Brüsten. Zu diesem „Table“ anno 1969 gesellte sich unter anderem noch ein „Seat“ in Gestalt einer bondageartig zusammengeschnürten Frau in schwarz-lederner Minimalbekleidung als Unterbau eines schwarz-ledernen Sitzpolsters.
Die Frau als Tisch: so bildhaft, so misogyn. Auch ein eigentlich bodenständiger Künstler wie Dieter Roth (1930–1998) versuchte sich einmal daran. Roth, bekannt für seine Objekte aus Lebensmitteln wie Wurstscheiben oder Schokolade, die er durch Schimmelbildung oder Insektenfraß der Metamorphose überließ, schuf 1971, vielleicht als Reaktion auf Allen Jones, einen Doppelpack Kaltnadelradierungen „Ein weiblicher Gedanke I & II“. Auf einem Blatt wird eine Frau Schritt für Schritt in einen Tisch verwandelt, auf dem anderen findet die Verwandlung in umgekehrter Abfolge statt. Das imaginierte Objektwerk türmt sich auf, in der Größe gestaffelt, wie die Bremer Stadtmusikanten – ein künstlerisch eher flaues Werk.
Gleichwohl inspirierte der ins Englische übersetzte Titel „A Feminine Thought“ die US-amerikanische Künstlerin B. Ingrid Olson, 1987 in Denver geboren und in Chicago arbeitend, zu ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland, die derzeit im Kunstverein Braunschweig zu sehen ist. Aber Olson zeigt keine Reprisen irgendwelcher Frauennachbildungen in Form von Tischen, sondern einfach nur: Tischplatten. 500 sind es, schwarz beschichtet, in unterschiedlicher, bis auf wenige Zentimeter reduzierter Größe, der Index für sämtliche Werke, die die Künstlerin bislang schuf. Die Tischplatten liegen in Stapeln am Boden oder zu Füßen einer Skulptur der Pallas Athene und zeichnen als minimalistische Spur das Kontinuum verbundener Gemächer nach, die sich wie eine Schale um die Eingangsrotunde der Kunstvereinsvilla legen.
Ausstellung „B. Ingrid Olson.
A Feminine Thought“: bis 5. 10., Kunstverein Braunschweig; kunstvereinbraunschweig.de
Wer will, mag auch in solch großbürgerlich repräsentativer Raumdisposition implizite Unterdrückungsmechanismen weiblicher Selbstentfaltung eingeschrieben sehen. Kunst von B. Ingrid Olson gibt es aber auch noch, kleine keramische Objekte, Zeichnungen, Collagen und Assemblagen aus Metall, Textil, Leder, Spiegel oder Verpackungsmaterial. Denn Tische dienen eigentlich ja dazu, etwas abzustellen, darzubieten – zu tragen. Das wird bei aller feministischen Exegese dann doch nicht außer Acht gelassen. Bettina Maria Brosowsky
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