Thomas Mann als Spielsache: Siebeneinhalb Zentimeter Literaturheiliger
Weil er 150 Jahre alt würde, bringen sein Verlag und ein Spielwarenkonzern Literaturnobelpreisträger Thomas Mann als Plastikfigur heraus. Ein Frevel?

Ob auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main neuerdings das Ächzen eines im Grabe rotierenden Groß-Literaturkritikers erklingt? Denn für Marcel Reich-Ranicki, dessen Asche da in hessischer Erde lagert, ging, wenn überhaupt, nur wenig über Thomas Mann, genauer: Mann als Roman-Verfasser.
Wenn da aber die Literatur an sich ihren Höhepunkt gefunden haben soll, allen voran in des gebürtigen Lübeckers Kaufmannsfamilienverfalls-Schmöker „Buddenbrooks“: Dann kann der jüngste Marketing-Move seiner langjährigen Verleger eigentlich nur ein Frevel sein. Aus einleuchtenden, weil biografischen Gründen – Mann würde am Freitag 150 Jahre alt – haben sie sich mit einem fränkischen Spielwarenhersteller zusammengesetzt, und nun gibt es den Literaturnobelpreisträger von 1929 als Playmobil-Figur.
Die klassische, siebeneinhalb Zentimeter große, „menschenähnliche Spielfigur aus Kunststoff“ nun war, was die Marke bekannt gemacht hat, weit hinaus über den von Mann so reich beschenkten deutschen Sprachraum. Aus Kopf, Perücke, zwei Armen sowie einem Rumpf mit Innenteil und Beinpaar bestanden sie seit 1974: Damals ging man quasi mit der Vorlage für die Retorten-Disco-Band „Village People“ an den Start, die ab 1977 schwules Begehren auch in allerstraighteste deutsche Haushalte trug. (Gut, die ersten Playmo-Männchen waren ein Bauarbeiter, ein Ritter und ein „Indianer“, auf den Village-Polizisten mussten wir noch etwas warten. Und einen Motorrad-Leder-Macho, gibt es den inzwischen?)
Schwules Begehren aber, und die immensen Schwierigkeiten, die einem dafür eine enge Umwelt mit starren Konventionen bereiten kann: Das war Thema bei und, mehr noch, für Thomas Mann, auch da schließen sich Kreise – ganz wie in einem guten Roman, Herr reich-Ranicki?
150 Jahre Thomas Mann werden naturgemäß in Lübeck gefeiert: mit der Ausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ (bis 18. 1. 26 im St.-Annen-Museum).
Vernissage und Festakt (mit Bundespräsidentenauftritt): Freitag, 6. 6., 16 Uhr, St.-Aegidien-Kirche, Aegidienkirchhof 1–3
Konzert des Philharmonischen Orchesters der Hansestadt Lübeck mit Festrede von Frido Mann: Freitag, 20 Uhr, Theater Lübeck, Beckergrube 16
Natürlich mit den „Buddenbrooks“
Der selbstredend „exklusive“, limitierte, seit 28. Mai im Buch- und vielleicht ja auch Spielwarenhandel erhältliche Plastik-Mann (8,99 Euro) bringt naheliegende Utensilien mit: Einen Hut kann man ihm aufsetzen, einen stützenden Stock in die Hand geben; in der anderen bleibt immer noch Platz für das aufgeschlagene Buch – natürlich sind’s die „Buddenbrooks“.
In Frankfurt nachfragen, wie es MRR denn nun sieht mit der Trivialisierung eines Quasi-Heiligen, dazu bedürfte es einer Séance. Die sich vielleicht zudem aufdrängt, nachdem der Schauspieler uvm. Armin-Müller-Stahl gerade dem NDR erzählt haben soll, der Jubilar habe sozusagen Besitz genommen von ihm: „Ein Teil von mir ist Thomas Mann geworden“… (Das Gespräch mit Moderator Keno Bergholz ist am Geburtstags-Freitag ab 16 Uhr im „Journal“ auf NDR Kultur zu hören.)
Immerhin: Deutsche Gerichte haben den einst in Zirndorf (Landkreis Fürth) ersonnenen Männchen schon attestiert, sie seien „Werke der angewandten Kunst“. Mann indes, behaupten wir einfach mal, hätte seinen Spaß an seiner keck unhanseatischen, Kinderaugen aber wohl nur in der Erwachsenenfantasie zum Leuchten bringenden Spielzeug-Variante.
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