die ortsbegehung: Ein Grab lädt zum Festmahl
In Köln-Weiden steht das besterhaltene Römergrab nördlich der Alpen. Es ist erst seit Kurzem wieder zugänglich und sieht aus wie ein Speiseraum zum dionysischen Feiern im Tod wie im Leben
Aus Köln Petra Schellen
Man kommt rein und möchte sie anfassen: diese fein geflochtenen Korbsessel, die heute wieder modern sein könnten. Und man möchte sich draufsetzen, sofort. Denn sie bestehen aus Marmor, und gerade der Kontrast zwischen echten und suggeriertem Material ist so fesselnd. Aber – man darf nicht. Das steht zwar nicht dran, weil diese antike Grabkammer möglichst original getreu bleiben soll. Aber da immer ein Guide zur Besichtigung mitgeht, besteht wenig Chance, es heimlich zu tun. Also bleibt man gesittet stehen im Römergrab in Köln-Weiden, neun Kilometer stadtauswärts an der stark befahrenen Aachener Straße gelegen.
Ein ungewolltes Understatement
Schon zu Römerzeiten – wir sprechen hier vom 2. Jahrhundert n. Chr. – war die „Via Belgica“ eine belebte Ausfallstraße Richtung Westen. Daran hat sich nichts geändert. Vorsichtig balanciert man den schmalen Bürgersteig entlang, um nicht vom Verkehr mitgerissen zu werden. Wäre fest vorbeigelaufen am „Römergrab“-Banner zwischen allerlei kleinen Häusern. Ein ungewolltes Understatement, ein Prélude des Kommenden.
Mit ein paar Schritten steigt man dann die Treppe hinab in jene Vergangenheit, auf die Köln so stolz ist. Denn neben Straßen, Bibliothek und Wasserleitungen haben die römischen Kolonisatoren in der „Provinz Niedergermanien“ Prunkgräber wie dieses hinterlassen. Zum Beispiel einen Sarkophag aus Carrara-Marmor mit Symbolen von Frühling und Winter – Anfang und Ende des Lebens – sowie ein Medaillon mit Bildnissen der Verstorbenen.
Lebensmittel für die Verstorbenen
Im alten Rom gab es sowohl Sarg- als auch Feuerbestattungen, und oft bekam der Tote eine Münze mit, um den legendären Fährmann Charon zu bezahlen, damit er die Seele ordnungsgemäß über den Totenfluss in die Unterwelt brachte. Auch Lebensmittel gab man mit, wünschte man dem Verstorbenen doch weiterhin fröhliche Festmähler. Auch die Kölner Grabkammer, die besterhaltene nördlich der Alpen, ist wie ein Speiseraum möbliert, mit Ruhebetten – Männer aßen im Liegen – und Korbsesseln für die Frauen. Natürlich alles aus edlem Gestein.
Ob sich auch in dieser Grabkammer, wie anderswo, Verwandte zum Totengedenken trafen, ist nicht überliefert. Ein trostloser Raum ist das hier jedenfalls nicht. Sicher, der große Sarkophag – der einst ein Stockwerk höher stand, bevor die Decke einstürzte, – steht etwas im Wege. Abgesehen davon fühlt man sich durchaus in Gesellschaft zwischen den lebendig modellierten Büsten zweier Frauen und eines Mannes.
Wobei niemand weiß, wer diese Leute sind, denn Inschriften gibt es leider nicht. Sicher ist, dass die Büsten nicht die im Sarkophag Bestatteten zeigen, entstammen sie doch einer anderen Zeit; immerhin wurde das Gab vom 2. bis ins 4. Jahrhundert über mehrere Generationen genutzt. Sie alle stammten wohl von einem der umliegenden Gutshöfe und waren wohlhabend, sonst hätten sie sich kaum Ewigkeitsmaterialien wie Marmor geleistet. Die Armen mussten sich mit einem Holzsarg begnügen – ein Grund, weshalb ärmere Schichten generell wenig materielle Spuren hinterließen.
Und das Grab stand nicht allein: Eine regelrechte Gräber-Prachtstraße muss es längs der Via Belgica gegeben haben, wie die Ausstellung im Wärterhaus nebenan zeigt. Wobei abermals die prominente erste Reihe die teuerste war. Auch der Kölner Sarkophag stand, umhegt wohl von einem offenen Tempelbau, direkt an der Straße, sodass ihn jeder Passant sehen konnte. Trotzdem dachte man praktisch: Die Schauseite ist reich verziert, die Rückseite roh und unbehauen.
Die Besonderheit
Das, man kann es nicht oft genug betonen, besterhaltene Römergrab nördlich der Alpen. Folglich, integraler Bestandteil Urkölner Identität. Wiewohl das ja eigentlich Kolonisatoren waren in der vordem von Germanenstämmen bevölkerten Region.
Die Zielgruppe
Alle, die mal ein Treppchen tief in die Vergangenheit steigen und erleben möchten, dass Grabkammern sehr wohl zünftige, feiergeeignete Orte sein können.
Hindernisse auf dem Weg
Erst mal muss man es finden – na gut, das ist durch die inzwischen „Römergrab“ benannte S-Bahn-Haltestelle leichter geworden. Für Gehbehinderte ist der Ort allerdings ungeeignet, denn das steile 19.-Jahrhundert-Treppchen trägt keinen Treppenlift.
Durch Zufall wiederentdeckt
Wiederentdeckt wurde das Ganze im 19. Jahrhundert bei Ausschachtungsarbeiten. Der damalige Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner erkannte die Einzigartigkeit des Grabs, ließ es sichern und – in Anlehnung an den zerstörten Tempelbau von einst – einen Schutzbau darüber setzen, nebst Wärterhaus. 1848, zeitgleich zur Fertigstellung des Kölner Doms nach über 600 Jahren Bauzeit, war das Römergrab öffentlich zugänglich.
Dann kamen der Deutsch-Französische und die beiden Weltkriege, das Grab wurde vergessen. Bis in die 2000er Jahre, so ist zu hören, habe die Bewohnerin es Wärterhauses Besuchern auf Anfrage aufgeschlossen. Systematisch wurde die Sache mit dem 2017 gegründeten Förderverein, der seither das Grab betreut und seit 2019 samt neuem Lernort mit Ausstellung und Seminarraum wöchentlich öffnet. Und wenn man wieder herauskommt, ist man verändert, denn man weiß: Diese lärmende Straße führte einst durch einen riesigen Friedhof, eine prachtvolle Prozession der Steine.
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