die ortsbegehung: Tierisch viel Platz hier
Der Tierpark im Osten der Stadt ist der zweite Zoo Berlins. Die DDR gönnte sich und den Tieren hier ein so weitläufiges Gelände, dass er heute vielen als die Nummer eins gilt
Aus Berlin Andreas Hergeth
Es müssen keine großen Tiere sein, die Begeisterungstürme auslösen. Beim Nacktmull sind vor allem kleine Kinder, von denen es im Tierpark Berlin an diesem Mittwoch nur so wimmelt, aus dem Häuschen. „Die sind ja nackt!“, ruft ein Junge entzückt einem Mädchen zu. Die beiden schauen gebannt aufs Treiben vor ihrer Nase: Das Leben der Nacktmullkolonie lässt sich auf Augenhöhe verfolgen, 30 Tiere sollen es sein. Da ist viel los, die nur 5 bis 15 Zentimeter großen Nagetiere sind sehr aktiv. Sie leben eigentlich in unterirdischen Bauten in den Halbwüsten Ostafrikas – oder eben hier in ihrem „Gehege“ in Berlin. Hinter einer Scheibe liegt ein Querschnitt durch ihr erdiges Reich, es gibt Gänge und Höhlen, in denen sich die Nacktmulle tummeln, die übrigens gar nicht nackt sind. Nur ist ihre geringe und sehr feine Behaarung mit Ausnahme von einigen gut sichtbaren Sinneshaaren kaum wahrnehmbar.
Ein paar Schritte weiter sind gerade Riesen dabei, zu fressen. Sie recken ihre Hälse zum Korb hinauf, es gibt Heu. Das einer Savanne nachempfundene Gehege für 11 Rothschildgiraffen ist mit rund 7.700 Quadratmeter so weitläufig, dass sich, je nachdem wo man steht, immer neue Blickachsen auftun. Ständig lassen sich neue Tiere entdecken. Der 2023 fertiggestellte Giraffensteg, 120 Meter lang, ermöglicht einen erhöhten Blick auf die Tiere.
Dieser romantische Eindruck wird von einem Metallzaun und Baufahrzeugen unterbrochen: In unmittelbarer Nachbarschaft liegt das Dickhäuterhaus, das seit 2022 umgebaut wird. Elefanten gibt es also gerade keine zu sehen, die sind in Zoos von Halle (Saale) und Augsburg umgezogen. Hier „entsteht die modernste Elefanten-Anlage Europas“, versprechen riesige Banner an den Bauzäunen – zugleich wird zu Spenden aufgerufen. Läuft alles nach Plan, sollen 2026 die ersten Tiere einziehen.
Auf dem Weg zum Geozoo
„Zukünftig werden die Afrikanischen Elefanten mehr als zehnmal so viel Fläche bei uns bekommen“, sagt Direktor Andreas Knieriem. 21 Elefanten sollen dann durch die große Savannenlandschaft streifen – und auch Zebras, Antilopen und eben die Giraffen. Denn der Tierpark wird allmählich zu einem Geozoo umgestaltet: Tiere werden nicht nach systematischen, sondern nach geografischen Gesichtspunkten gehalten. 2035, zum 80. Geburtstag, will man damit fertig sein.
Der Tierpark Berlin ist ein Kind der DDR und feiert in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag. Er wurde im Juli 1955 im Ostberliner Stadtteil Friedrichsfelde eröffnet. Die Hauptstadt der DDR sollte nach der deutsch-deutschen Teilung endlich ein Pendant zum 1844 eröffneten Zoo im Westen der Stadt in Charlottenburg bekommen. Dort sind auf einer Fläche von 33 Hektar rund 20.000 Tiere aus etwa 1.000 Arten zu sehen – er ist der artenreichste Zoo der Welt.
Doch der Tierpark in Friedrichsfelde ist anders. Von Anfang an als weitläufiger Landschaftstierpark angelegt, sind hier rund 10.000 Tiere Zuhause. Also nur halb so viele wie im Westzoo. Dafür ist viel mehr Platz vorhanden: Das Gelände erstreckt sich auf 160 Hektar – das entspricht gut 225 Fußballfelder! In dem Tierpark lässt sich locker ein Tag verbringen.
Es gibt großzügig angelegte Gehege wie das der Waldbisons, bei denen der Eindruck entsteht, als ob man die bis zu 1.000 Kilogramm schweren Tiere in freier Wildbahn beobachten würde. Kein Zaun, keine Gitterstäbe stören den Blick. Die riesige Wiese ist in großen Teilen allein durch einen Wassergraben begrenzt. Auch die Dromedare oder Lamas und viele andere Großtiere leben hier so. Ein Hauch von Freiheit. Eingesperrt sind die Tiere dennoch.
Überall findet sich Altes und Neues. Da sind die aus frühen DDR-Tagen stammenden Kunstwerke aus Bronze. Viele Skulpturen wie der brüllende Riesenhirsch oder zwei kleine Fohlen haben blanke Stellen vom vielen Anfassen oder Draufsitzen für Fotoposen. Daneben sind überall lebensgroße Dinosaurierplastiken zu sehen. Der Tierpark hat sich eben auf sein junges, dinoaffines Publikum eingestellt. Bildung steht hier hoch im Kurs. Altmodisch über die Informationstafeln vor den Gehegen, modern mit multimedialem Infotainment zu Arten- oder Klimaschutz.
Alte Gitter und Drahtgeflecht
Die Besonderheit
Berlin hat der einstigen Teilung wegen vieles doppelt. Der Tierpark Berlin im Osten der Stadt ist eine GmbH, der Zoologische Garten im Westen Berlins eine AG, sie sind unter einem Dach vereint. Seit 2014 ist Andreas Knieriem Direktor von Zoo und Tierpark Berlin.
Das Zielpublikum
Familien mit Kind und Kegel (auch Hunde sind erlaubt, aber nur angeleint), Tierliebhaber und Erholungssuchende.
Hindernisse auf dem Weg
Wenn die U-Bahn fährt, keine. Vom Berliner Hauptbahnhof ist man ohne umsteigen mit der U-Bahn-Linie 5 in nur 24 Minuten am U-Bahnhof Tierpark.
Da sind zum einen die Gehege alter Prägung, eher klein und nach vorne, zu den Besucher:innen hin, meist aus Gitter und Drahtgeflecht bestehend. Viele von ihnen sind so vom Grün im Inneren überwuchert, dass man die Tiere länger suchen muss. So wie das Manul, eine Kleinkatze, die dämmerungs- und nachtaktiv in Asien beheimatet ist. Aha, die Anlage wurde 1960/61 gebaut, wie man auf einer gusseisernen Plakette lesen kann.
Da sind zum andern die neugestalteten Anlagen des wachsenden Geozoos. Das 2022 eröffnete „Himalaya-Gebirge“ zum Beispiel. Innerhalb eines Jahres wurde ein 60 Meter hoher Trümmerberg mit 3.000 Tonnen Natursteinen und mehr als 5.000 Bambuspflanzen in eine künstliche asiatische Gebirgslandschaft verwandelt. Rund 100 Tiere aus 22 verschiedenen – großteils in der Natur bedrohten – Arten haben ein neues Zuhause gefunden. Die Projektkosten betrugen insgesamt 5,3 Millionen Euro. Oben angekommen, lässt sich von verschiedenen Aussichtspunkten der Tierpark überblicken. Gen Osten grüßt der Fernsehturm (noch so eine DDR-Ikone).
Der Tierpark Berlin mit seiner wechselvollen Geschichte muss sich nicht verstecken, ganz im Gegenteil. Minderwertigkeitsgefühle wegen weniger Tieren sind fehl am Platze. Der zweite Berliner Zoo ist der Schönere der beiden Einrichtungen und daher für viele die Nummer eins.
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