piwik no script img

die ortsbegehungBrotkunst für die Welt

Das „Museum Brot und Kunst – Forum Welternährung“ schlägt den Bogen von basalen Ernährungsfragen zur hohen Kunst. „Ulmer Brotmuseum“ hört man hier gar nicht gern

Brot und Kunst im Salzstadel: das „Museum Brot und Kunst – Forum Welternährung“ in Ulm Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Ulm Thomas Vogel

Einer dieser Gebäudekomplexe, wie man sie vor vier Jahrzehnten wieder in die Ulmer Altstadt pflanzte: schmaler Baukörper, Lochfassade, steiles Dach, architektonische Langeweile. „Salzstadel“ steht überdem Haupteingang. Angefügt ist ein leuchtendes „P“ in Blau. Es kann durchaus sein, dass man tatsächlich erst hier landet auf der Suche nach dem eigentlichen „Salzstadel“, dem historischen. Den Salzstadel gibt es in Ulm doppelt – der historische gleich nebenan. Und während der Wiedergänger eine im Grunde eine Tiefgarage mit Wohnbebauung obendrüber ist, präsentiert sich das Original als mächtiges Renaissancegebäude von 1592, belegt mit dem „Museum Brot und Kunst – Forum Welternährung“, landläufig abgekürzt als „Brotmuseum“, vereinzelt gar kleingestutzt zum „Ulmer Brotmuseum“.

Unfaire Praxis. Denn das Haus ist eine Institution, die ausgezeichnete Arbeit leistet, aufbauend auf einer Sammlung von weit über 10.000 Objekten, und furchtlos genug, sich ins Getümmel der Kulturkämpfe von heute zu stürzen. „Verrückt nach Fleisch“ hieß etwa die Wechselausstellung, die gerade zu Ende ging.

Beackert wird hier ein drängendes und vielschichtiges Thema. Kurz ist der gedankliche Sprung vom Brot zur Ernährung, hochpolitisch aufgeladen die Frage, wer darüber bestimmt, etwa über das Saatgut, die Preise, die Art der Nutzung der Flächen. Die unterschiedlichen Ansichten und Interessen prallen aufeinander in der dokumentarisch-künstlerischen (Video-)Installation im obersten Geschoss zur „Zukunft der Ernährung“. Gentechnik in der Landwirtschaft, „fairer Welthandel“, die „Logik des Geldes“, und das „Saatgut von morgen“ sind lediglich ein Ausschnitt aus über 20 Themenfeldern. Landwirtschaftliche Kultur ist bunt – jedenfalls da, wo die Saat des Einflusses von Konzernmacht, Agrarindustrie, Bauernverband und Co noch nicht vollumfänglich aufgegangen ist.

Der Horizont der Einrichtung endet also weder an Ulms noch an Deutschlands Grenzen. Für einen Besuch sollte man auf jeden Fall genügend Zeit einkalkulieren, denn es gibt viel zu schauen, zu lesen und zu hören. Einen der Kerne der Sammlung bilden Werke der bildenden Kunst, vielfach von Rang. Zu den Spezialitäten des Hauses zählt, dass es ebenfalls die Sonderschauen mit solchen bestückt, vornehmlich mit zeitgenössischen Positionen. Das erzeugt Reibungsflächen und eröffnet weitere Perspektiven. Zuletzt schlug Marije Vogelwang vegane Alternativen aus erfundenen Tieren vor, und Hartmut Kiewert ließ in seinem Utopia Tiere und Menschen friedlich miteinander picknicken.

Trotzige Stullen

Brot ist eine menschliche Geste, „um den launischen Göttern und der schwierigen Natur zu trotzen. Es formt ihr Zusammenleben und die Kultur, wie wir sie kennen“, stellt das Haus seine Programmatik vor. Die Besuchenden wandeln in Backstuben und in Labore, werden in den Arrangements der Dauerausstellung mit Werbung konfrontiert und mit theologischen Positionen, mit industriellen Lebensmitteln wie mit Genuss.

Begründet hat sie ein Ulmer Fabrikant. Willy Eiselen (1896–1981) baute ein Unternehmen für Back- und Nährmittel auf und nebenbei eine kunst- und kulturgeschichtliche Sammlung, die er ab 1960 unter dem Namen „Deutsches Brotmuseum“ in kleinerem Rahmen präsentierte. Ihm folgte sein Sohne Hermann Eiselen (1926–2009) nach – das finanzielle Fundament blieb auch dank der bereits 1978 ins Leben gerufenen Vater und Sohn Eiselen-Stiftung stabil.

Aus Ulm in die Welt

Nix wie hin

Die BesonderheitDie Leidenschaft für bildende Kunst wird ebenso bedient wie andere ganz unterschiedlichen Disziplinen: von Technikgeschichte bis Philosophie. Themeninseln bilden ein Netzwerk, das die verschiedenen Inhalte der Ausstellung miteinander in Beziehung setzt und zu assoziativen Verknüpfungen und Gedankensprüngen anregt. Kurzum: Das Ausstellungskonzept bewahrt für die Augen der Betrachtenden ein gerüttelt‘ Maß an Offenheit. Und auch nicht nur für die Augen: Angesprochen werden alle Sinne. In den Sonderausstellungen werden einzelne Themen weiter vertieft und verästelt.

Das ZielpublikumAlle, die sich gerne anregen lassen, ihren eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern. Für Kinder gibt es eigene Programmangebote. Einfach mal eines der Begleitprogramme ausnutzen. Klar, Brot kennen alle. Aber die Bedeutungsebenen dahinter sind noch allzu häufig unbekanntes Land.

Hindernisse auf dem WegNur ganz kleine. Der Hauptbahnhof liegt zehn Fußminuten entfernt, das Parkhaus „Salzstadel“ gleich daneben. Nur wenn in der Ulmer Innenstadt mal wieder Stau angesagt ist, kann es etwas dauern, bis man mit dem Pkw wieder rauskommt.

Heftig fiel der Protest aus, wenn die Zeitung mal wieder (und nicht immer aus Versehen) vom „Ulmer Brotmuseum“ schrieb. Schon der Junior beanspruchte für sein Haus eine „weltweite Bedeutung“. Erst der Wechsel an den zentralen Standort und die folgende Nach-Eiselen-Ära eröffneten dem Haus neue Freiheiten. Es flaggte sich um zum „Museum für Brotkultur“ und danach erneut, um der Erweiterung zum Kunstgeschehen gerecht zu werden.

Der Salzstadel wiederum ist stadthistorisch von Belang, gehört er zu einer Serie an Stadelbauten, die sich die Freie Reichsstadt im 16. Jahrhundert zur Vorratshaltung in Kriegszeiten und als Waffendepots zugelegt hatte. Bespielt werden mehrere Hallen, die untere mit Kreuzgratgewölbe versehen, die oberen in Fachwerkständerbauweise. Toskanische Hausstein-Säulen vertreten eine Frühform der Italiensehnsucht. Eine aus dem Eiselen-Vermögen gespeiste zweite Stiftung, „fiat panis“, engagiert sich für Forschung zur Verbesserung der Welternährung.

Allein in Deutschland gibt es noch vier weitere Museen mit diesem Schwerpunkt, unter denen sich das „Europäische Brotmuseum“ in Ebergötzen ehrerpicht nach vorne drängelt. Ulm hat sich aus diesem Balzgeschehen verabschiedet, gibt nur eine kleine Bitte mit auf den Nachhauseweg: „Don’t call me brotmuseum.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen