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Renovierter Gendarmenmarkt in BerlinTarnen und Täuschen

Als steinerne Wüste präsentiert sich der sanierte Gendarmenmarkt. Seine Umgestaltung folgt dem Drehbuch der Festivalisierung des Stadtraums.

Eventschauplatz, Denkmal und Klima­sünde: der Gendarmenmarkt in Berlin Illustration: Jeong Hwa Min

Berlin taz | Um den Gendarmenmarkt zu verstehen, hilft ein Blick auf die Herkunft seines Namens. Berlins Schmuckplatz wurde 1688 an jener Stelle angelegt, an der zuvor das Kürassierregiment Gens d’armes kaserniert war. Am Gendarmenmarkt wurde also zuvörderst strammgestanden. Die Kultur, behaust im Schinkel’schen Schauspielhaus, und die preußische Toleranz, heruntergebetet im Französischen und Deutschen Dom, kamen erst im Nachgang.

Strammstehen kann man am Gendarmenmarkt auch heute wieder. Nach einer zwei Jahre dauernden Sanierung erstrahlt er nun vor allem als steinerne Wüste. Auf einer Fläche von 14.000 Quadratmetern wurde schachbrettmusterartig schlesischer Granit verlegt. Ein großer Teil der Kugelahornbäume musste weichen. Grau in Grau statt Grün, echt jetzt?

Seitdem kennt Berlin kein anderes Thema. „Grashalm auf frisch saniertem Gendarmenmarkt entdeckt“, machte sich der Postillon lustig. „Berliner Stadtverwaltung rückt mit Flammenwerfern an.“ Etwas seriöser meldete sich Armin Laschet zu Wort: Der neue Gendarmenmarkt, so der Ex-CDU-Kanzlerkandidat, sei „weder aus ästhetischen, denkmalpflegerischen noch aus klimaresilienten Gründen zu begreifen“.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Je doller die einst legendäre Friedrichstraße vor sich hinsiecht, desto mehr gerät der benachbarte Gendarmenmarkt ins Visier. Aber ist er wirklich der schönste Platz Berlins, wie gerne behauptet wird? Wer es symmetrisch mag, kommt tatsächlich auf seine Kosten. In der Mitte Schinkels Schauspielhaus, rechts und links die Dombauten. Und nun auch noch der steinerne Vorplatz mit dem Schillerdenkmal.

Das Zielpublikum

Breit gestreut. Vom Classic Open Air bis zum schmucken Weihnachtsmarkt ist für jeden was dabei. Nun soll auch noch die Gastronomie durchstarten. Für Touristen ist der Platz ohnehin Pflichtprogramm.

Hindernisse auf dem Weg

Es gibt keinen U-Bahnhof gleichen Namens. Aussteigen bitte am Hausvogteiplatz oder Stadtmitte. Und im Sommer den Sonnenschirm nicht vergessen.

Die „denkmalpflegerischen Gründe“, die Laschet anspricht, bleiben freilich vage. Seitdem über den Platz der Shitstorm hereingebrochen ist, schien Berlins oberster Denkmalschützer abgetaucht. Kein Wort zu den gestalterischen Vorgaben, nichts zum historischen Referenzpunkt der Gestaltung. Im Netz fand sich lediglich eine Pressemitteilung aus 2021. In diesem Jahr wurde der von der DDR im Zusammenhang mit der 750-Jahr-Feier 1987 wiederaufgebaute Platz unter Denkmalschutz gestellt.

Eine jüngere Geschichte

„Für Touristen, aber auch für viele Berlinerinnen und Berliner ist der Gendarmenmarkt ein historischer Platz aus dem alten Preußen“, ließ der damals für Denkmalschutz zuständige Staatssekretär mitteilen. „Tatsächlich aber stammt ein Großteil der Platzgestaltung aus den 1970er und 1980er Jahren. Mit der Unterschutzstellung würdigen wir diese Zeitschicht und zeigen, dass auch das jüngere Erbe unseren Schutz verdient.“

Nicht die weitaus grünere Platzgestaltung aus dem 19. Jahrhundert, die in sozialen Medien nun populistisch dem steinernen Platz als Mahnbild gegenübergestellt wird, stand bei der Sanierung also Pate. Es ist die flächige Platzgestaltung der DDR, die alles Grün an die vier Ecken des Platzes gedrängt hat. Doch den Denkmalschutz nun für die steinerne Wüste verantwortlich zu machen, greift zu kurz, wie der Architekturkritiker Nikolaus Bernau jüngst zu Recht festgestellt hat.

Es sind vielmehr die politischen Vorgaben, die dem Grau gegenüber dem Grün den Vortritt gegeben haben. Das bestätigte, nach Tagen des Abtauchens, auch Berlins oberster Denkmalschützer, Landeskonservator Christoph Rauhut. „Die Art der Nutzung des Platzes, also zum Beispiel Gastronomie und der Weihnachtsmarkt“, so Rauhut in einem Interview, seien „gesetzt“ gewesen.

Über diese Setzung wird im politischen Berlin, wo Architekturfragen schnell ins Grundsätzliche kippen, allerdings kaum diskutiert. Die Vorgaben lauten: Der Gendarmenmarkt muss veranstaltungstauglich sein. Nicht nur für den alljährlichen Weihnachtsmarkt und das Classic Open Air, sondern wohl auch darüber hinaus.

wochentaz

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Neben den sechs Wasserspeichern mit einer Kapazität von 480 Kubikmetern, die der Senat unter dem Platz verlegt hat, um ihn „schwammstadttauglich“ zu machen, wurde deshalb auch reichlich Eventinfrastruktur verbaut: 850 Meter Wasserrohre, 265 Meter Fernwärmeleitungen, 3 Kilometer Stromkabel. Dazu 27 Anschlüsse für Schmutz- und Trinkwasser sowie 29 Stromanschlüsse.

Auch für die Gastronomie ist gesorgt. Damit die Touristen beim Aperol keinen Hitzeschlag bekommen, wurden ganz dezent sogenannte „Schirmhülsen“ im Pflaster versteckt. In ihnen können die Gastronomen dann Sonnensegel aufstellen.

Das Marketing führt hier Regie

Es scheint, als hätte weder die Klimakrise noch der Denkmalschutz das Drehbuch für die Umgestaltung der guten Stube von Berlin geschrieben, sondern die Tourismusmarketinggesellschaft Visit Berlin. „Der Gendarmenmarkt begeistert jährlich rund drei Millionen Tourist:innen“, heißt es denn auch auf deren Seite. „Als Must-See vereint dieses besondere Wahrzeichen Berliner Geschichte, Kultur und Lebensart in einmaliger Atmosphäre.“

Als „Festivalisierung der Stadtgesellschaft“ hat der Stadtsoziologe Walter Siebel bereits 1993 die Zurichtung des öffentlichen Raums der Städte für kommerzielle Nutzungen kritisiert. Dort, wo einst preußische Kürassiere strammstanden, hat diese Festivalisierung nun eine neue Stufe ihrer Entwicklung genommen. Sie umgibt sich mit dem Mantel des Denkmalschutzes und folgt doch nur dem Credo der Bundeswehr im märkischen Storkow: Dort gibt es eine Abteilung, die heißt ganz ungeniert „Tarnen und Täuschen“.

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3 Kommentare

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  • Jetzt ist es schon “populistisch”, wenn man darauf hinweist, dass der Platz in Preußen eine höhere Aufenthaltsqualität hatte und für 99,9 Prozent aller Menschen schöner (ich weiß, ganz böses Wort in Berliner Kreisen) war?

  • Die ganz Aufregung ist unverständlich, der Platz sieht aus wie vorher. Die paar gefüllten Bäume waren zuvor kaum wahrnehmbar.

    Nur, wenn der Platz vorher als schön galt (wohl die vorherrschende Meinung), warum soll er den jetzt bitte nicht mehr als schön gelten.

    Und kaum war der Platz eröffnet, stand schon das erste Vier-Personen-Zelt auf dem schmalen Grünstreifen. Zumindest auch unter diesem Gesichtspunkt ist es ganz passabel, dass sich nichts geändert hat.

    Wie es anders aussehen kann, siehe Oranienplatz, siehe Görli, siehe Cottbuser Thor oder siehe Belle-Alliance-Platz.

  • Passt in den allgemeinen Trend, was anscheinend bundesweit die Vorstellungen der Stadtoberen in Bezug auf „Kulturförderung“ und „Belebung von Innenstädten“ angeht: City-Festivals und Festmeilen unter diesem und jenem austauschbaren Motto, mit hier einer Lichtinstallation, dort einer Kleinkunstbühne und vor allem viel kommerzieller Gastro und City-PR. Ergänzt wird das ganze dann noch mit subventionierten Pop-Up-Stores und Zwischennutzungen durch Studis von irgendeiner beliebigen Kunsthochschule. Tadaaaaaa! Die Innenstädte sind gerettet…