die dritte meinung: Man kann schon fast von der Lust an der Seuche sprechen, sagt Andreas Wulf von medico
Andreas Wulf
ist Mediziner und Projektkoordinator Medizin bei der Organisation medico international.
Die Nachrichten zur Coronavirus-Epidemie schaffen es derzeit noch vor dem Kohleausstieg und dem Impeachmentverfahren gegen den US-Präsidenten in die Presse. Die Weltgesundheitsorganisation diskutiert über die Ausrufung eines Gesundheitsnotstands, die chinesischen Gesundheitsbehörden wollen zeigen, dass sie alles im Griff haben und vor allem transparent und kooperativ arbeiten, im Unterschied zum Sars-Virus-Ausbruch 2003. Die Virologen geben lange Interviews mit vielen „könnte“-, „falls“- und „müsste“-Formulierungen, da sie den Verlauf von Corona ebenso wenig vorhersehen können wie das Robert Koch Institut, dessen Aufgabe es gerade ist, die deutsche Öffentlichkeit zu beruhigen. Denn noch findet das Ganze im „Fernen Osten“ statt. Aber dank der Globalisierung sind die gefühlten Distanzen offenbar ebenso geschrumpft wie der zeitliche Abstand zwischen einem Ereignis und seiner medialen Präsentation.
Es scheint, als stürzten sich alle auf diese neue, schon als „Pandemie“ angekündigte Infektionskrankheit, um einmal nicht über Klimakrise, Libyenkrise und Brexitkrise zu reden. Und alle Akteure haben ihre eigenen Interessen mit im Gepäck. Eine neue Seuche verspricht neue Forschungsgelder, neue Mittel für Impfstoffe und Medikamente und bietet auch eine willkommene Abwechslung zu den oft langweiligen und mühsamen Routinen in der alltäglichen Arbeit für ein funktionierendes Gesundheitswesen. Dabei müsste es eigentlich genau darum gehen: die alltägliche Arbeit zu stärken, damit allen Menschen in Not geholfen werden kann.
Bei aller nötigen Aufmerksamkeit für potenzielle globale Gesundheitsbedrohungen geht es heute mehr denn je um die strukturelle Stärkung der lokalen Basisgesundheitskräfte, die im Notfall auch zur Bewältigung von Epidemien notwendig sind. So zeigte es sich in der Ebola-Krise in Westafrika, und so wird es sich auch wieder zeigen, sollte sich das Coronavirus als sehr viel gefährlicher erweisen, als es momentan glücklicherweise noch aussieht.
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