Ungarn als Vorbild der US-Regierung: Trumps Lieblingseuropäer
Viktor Orbán hat in Ungarn gezeigt, wie man eine Demokratie Schritt für Schritt zerlegt. Donald Trump hat genau hingesehen.
D onald Trump macht keinen Hehl daraus, dass Ungarns autoritärer Machthaber Viktor Orbán sein liebster Kollege im Ausland ist. Trumps Bewunderung für den „fantastischen“ ungarischen Premierminister rührt von Orbáns unverblümtem Stil und seinen erzkonservativen Erfolgen her. Trump bewundert, wie Orbán und seine Fidesz-Partei die Einwanderung nach Ungarn eindämmen, der EU und der Nato trotzen, erneuerbare Energien ablehnen und traditionelle Werte in der ungarischen Gesetzgebung und Kultur festschreiben.
Um den Weg zu verstehen, den Trump einschlagen könnte, sollten wir uns ansehen, wie Orbán eine unvollkommene Demokratie in eine „embedded autocracy“ verwandelt hat. Also in ein Regime mit demokratischer Fassade, das seine Macht durch Wahlmanipulation und institutionelle Kontrolle sichert. Fidesz verkündet zwar demokratische Merkmale wie Wahlen und Meinungsfreiheit – doch das Ergebnis ist programmiert.
Während der ersten Amtszeit der Fidesz-Partei in den Jahren 1998 bis 2002 wurde Orbán noch durch die Gesetze der jungen postkommunistischen Demokratie, die Kontrollmechanismen des Systems und eine entschlossene Opposition gebremst. Bei seiner zweiten Regierungsübernahme begann er sofort, all das Stück für Stück abzubauen. Im Mittelpunkt stand für Orbán die Lehre, dass Personalien uneingeschränkte Ergebenheit zeigen müssen, dass Feinde von Anfang an beseitigt und loyale Geldgeber „entschädigt“ werden müssen. Bei seinem zweiten Anlauf umgab sich Orbán mit einem immer größer werdenden Kreis von Gefolgsleuten, die er teils zu milliardenschweren Oligarchen machte.
Trumps kriecherische Kabinettsmitglieder und Oligarchenfreunde sind aus demselben Holz geschnitzt, und seine Entlassung von einem Dutzend Generalinspektoren sowie die Aushöhlung von Aufsichtsbehörden öffnet das Land für Korruption und die Schaffung eines klientelistischen Netzwerks – ein Sinnbild für Orbáns Regime, das sich vom kleinsten Dorfbürgermeister bis zum obersten Parteisoldaten der Fidesz spannt.
ist ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Journalist in Berlin. Er berichtete unter anderem über den Fall der kommunistischen Staaten in Osteuropa und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Heute schreibt er schwerpunktmäßig über erneuerbare Energien und die Klimakrise.
ist ein ungarischer Soziologe und Professor an der Central European University und Mitautor von „Embedded Autocracy: Hungary in the European Union“ (2024). Zwischen 2005 und 2006 war er ungarischer Kulturminister.
Keiner von Orbáns Plänen ist jedoch von größerer Bedeutung als die Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien und die Dezimierung der unabhängigen Informationsquellen. Als die Fidesz an die Macht kam, hatte sie bereits eine überwältigend konservative Medienlandschaft auf ihrer Seite. Doch Entlassungen und Richtlinien machten den öffentlichen Rundfunk erst zum Sprachrohr des Regimes.
Überarbeitete Mediengesetze und staatlich geförderte Werbung förderten neue Medienmagnaten wie Orbáns langjährigen Freund und ehemaligen Studienkollegen Lajos Simicska, den Orbán zu einem der reichsten Männer Ungarns machte – Trumps Klüngel mit Elon Musk lässt grüßen. Und obwohl die Unterstützung der US-Regierung für die öffentlich-rechtlichen Medien viel geringer ist als in Europa, drohen dem National Public Radio, dem Public Broadcasting Service und der Voice of America jetzt die Streichung von Geldern und eine umfassende Reform.
Die USA sind (noch) nicht Ungarn
Aber zumindest unter den gegenwärtigen Umständen wird Donald Trump nicht in der Lage sein, die Autokratie in den USA auf dieselbe Weise zu verankern. Denn Orbáns Machtübernahme ist Ungarns eigenartigen Wahlgesetzen zu verdanken: 2010 konnte die Fidesz in einer zweiten Runde zusammen mit einer kleinen Satellitenpartei eine Zwei-Drittel-Supermehrheit im Parlament erlangen. Damit konnte sie Verfassungsänderungen absegnen, die der Exekutive weitreichende Befugnisse einräumten, die Wahlbedingungen veränderten und die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlten. In nur einem Jahr hatte Fidesz die Verfassung umgeschrieben und das Verfassungsgericht entzahnt.
Im Anschluss daran hat Orbán das Wahlsystem umgestaltet. Hinter verschlossenen Türen führte der Staat ein landesweites Gerrymandering durch. So wurde beispielsweise das Wahlrecht für die zwei Millionen Menschen der ungarischen Minderheit in den Nachbarländern – treue Fidesz-Wähler – gestärkt, indem sie per Briefwahl wählen oder einen Bevollmächtigten ins Wahllokal schicken können. Gleichzeitig müssen die mehrheitlich liberalen etwa 600.000 Ungarn, die außerhalb Mitteleuropas leben, ihre Stimmzettel persönlich in einem ungarischen Konsulat abgeben.
Um sicherzugehen, dass die Oppositionsparteien nie wieder aufstehen, verhängte ein staatliches Amt 2022 Geldstrafen gegen sechs Oppositionsparteien, denen es Intransparenz vorwarf. In diesem Sinne ging Orbán auch gegen die ungarische Zivilgesellschaft vor, einschließlich Nichtregierungsorganisationen, Denkfabriken und die renommierte Central European University. Der mit eiserner Faust agierende Premierminister tat dies, indem er behauptete, dass diese „nicht gewählten“ Zivilisten von westlichen Geldgebern gesponsert würden und den Staat in gefährlicher Weise unterminieren: das heißt, die Fidesz-Regierung, die einzige, von der ihre Protagonisten behaupten, sie vertrete das ungarische Volk.
Trumps Blitzstart mag dem von Orbán im Jahr 2010 ähneln, aber der US-Amerikaner hat noch einen weiten Weg vor sich, um ihn zu vollenden. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2024, mit dem die absolute Immunität des Präsidenten vor Strafverfolgung anerkannt wird, gibt ihm mehr Freiheiten als während seiner ersten Amtszeit. Doch die Logik von Trumps umfassendem Angriff auf das System der gegenseitigen Kontrolle ähnelt auf verblüffende Weise derjenigen Orbáns.

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Bei Orbáns triumphaler Rückkehr im Jahr 2010 dachte niemand, dass er die Demokratie tatsächlich abschaffen würde. Doch er tat genau das, indem er die Fidesz in jeden Winkel des Staates und der Volkskultur einbettete. Aber er tat es Schritt für Schritt, während eine zersplitterte, gelähmte demokratische Opposition ungläubig zusah.
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