debatte: Nach dem Wunder
Parteitag in Chemnitz: Die Linkspartei muss angesichts einer dramatisch gewandelten Weltlage neue Antworten finden. Friedensfloskeln reichen nicht
Rechte Parteien sind global auf dem Vormarsch. Offener Rassismus ist wieder salonfähig, oft kombiniert mit einem entgrenzten Tech-Raubtierkapitalismus und rabiaten Nationalismus. Linke haben dem außer Händeringen, Besserwisserei oder hilflos wirkender Verteidigung des Status quo meist wenig entgegenzusetzen.
Umso spektakulärer war der Erfolg der Linkspartei, die, anstatt wie prophezeit unterzugehen, bei der Bundestagswahl fast 9 Prozent der Wählerstimmen holte. Rund 50.000 neue GenossInnen strömen in die Partei. Die in heillose Machtkämpfe versunkene, überalterte Organisation wandelte sich in kürzester Zeit in eine Bewegung, die sich mit Schwung in einen erfolgreichen Haustürwahlkampf stürzte.
Diese wundersame Rettung war hart erarbeitet und Ergebnis eines glücklichen Timings. Mit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht verschwanden Lähmung und Streit. Ein zentraler Bestandteil der linken Selbstrettung war eine Art Bernie-Sanders-Effekt: Millionen von jungen AkademikerInnen, die unter hohen Schulden ächzten, hatten den US-Linken 2016 und 2020 bei den Vorwahlen unterstützt. Universitäten sind in den USA extrem teuer. Sanders’ Forderung nach kostenlosen Unis fiel bei hoch verschuldeten AkademikerInnen auf fruchtbaren Boden.
Der Erfolg der Linkspartei war ein Sanders-Moment. Bildung ist in Deutschland zwar fast kostenlos. Urbane AkademikerInnen hierzulande bringen die kaum bezahlbaren Mieten in den Metropolen zur Verzweiflung. Die Mietenkampagne der Linkspartei, clever verstärkt durch einen Heizkostencheck, der praktischen Nutzen verspricht, adressiert dieses Problem. Sie unterscheidet sich von anderen Linkspartei-Aktionen, weil hier nicht Mittelschicht-AkademikerInnen als Anwalt der Unterschicht auftreten, sondern auch Politik pro domo machen. In der Regel ist Interessenpolitik soliderer Grund als karitativ oder revolutionär begründete Aktivismus. Ein Bonus ist gewiss die Kampagnenfähigkeit der Linken – etwas, das der blutarmen Machtverwaltungsmaschine SPD derzeit völlig fehlt.
Die neue Spitze aus Ines Schwerdtner und Jan van Aken sendet bislang recht störungsarm auf verschiedenen Frequenzen. Schwerdtner verkörpert sozialistische Tradition ohne DDR-Rost – und ist diskursiv anschlussfähig. Van Aken forderte wirksamere Sanktionen gegen Russland und reinigte die Partei geschickt vom Image der Putin-Versteher. Der neue Social-Media-Star Heidi Reichinnek erreicht jenes junge urbane Publikum, das geschädigt durch die Corona-Isolation bei der Linkspartei auch Gemeinschaftlichkeit zu finden hofft.
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Der Wahlerfolg der Linkspartei liegt aber auch an Friedrich Merz, der kurz vor der Wahl mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache machte. Das war ein Adrenalinschub für eine Anti-rechts-Bewegung. Kurzum: Die Linke war so erfolgreich, weil Bewegungs-Hausse und Bundestagswahl günstig zusammenfielen. Es wäre einfältig, diesen glücklichen Zufall und damit auch die Fragilität dieses Erfolges zu übersehen. Bewegungen folgen einer anderen Logik als Parteien. „Bewegungen kommen und gehen, vor allem gehen sie“, so der Soziologe Ulrich Beck. Die komplizierte Aufgabe der Parteiführung ist es nun, die Bewegungsenergie zu institutionalisieren.
Was tun? Und was nicht tun? Vielleicht lässt sich etwas aus dem größten Erfolg der Linkspartei 2009 lernen, als die GenossInnen als Anti-Hartz-IV-Partei fast 12 Prozent bekamen. Lafontaine geißelte danach den Verrat der SPD mit immer schrilleren rhetorischen Volten und manövrierte die Partei in eine Sackgasse. In der Opposition Beton anzurühren, ist gedankenarm.
Außerdem schwankt der Boden. Die Architektur der Bundesrepublik ist brüchig. Die Innenpolitik war dominiert von einer übermächtigen Mitte, meist Mitte-rechts, selten Mitte-links. Diese Trutzburg der Mitte besteht, wie die fast gescheiterte Merz-Wahl zeigte, mittlerweile eher aus Sand. Die Linkspartei kann angesichts dessen nicht nur dagegen sein. Sie trägt Verantwortung für die Demokratie. Dass die Linksfraktion Merz rasch zum zweiten Wahlgang verhalf, war jedenfalls klug. Die Botschaft lautete: Scharfe Kritik an Schwarz-Rot ja, – aber nichts, was der Chaos-Strategie der AfD nutzt.
Auch außenpolitisch braucht die Linkspartei mehr als nur Anti. Die Bundesrepublik war pro Nato, die Linke anti Nato. Diese Spielanordnung ist von gestern. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag beschwört unverdrossen Nato und die „transatlantische Partnerschaft‘“. Im Leitantrag zum Parteitag im Chemnitz feiert sich die Linke spiegelsymmetrisch „als Friedenspartei“ und wettert gegen „zunehmende Militarisierung“.
Trumps möglicher Rückzug aus der Nato, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die neue Weltordnung kommen im linken Leitantrag der Einfachheit halber nicht vor. Das ist schwer verständlich. Die Rolle der Opposition bietet den Luxus, ohne Sachzwänge denken zu können. Anstatt sich routiniert an Friedensfloskeln zu klammern – und wenn es ernst wird, Aufrüstung halb verdruckst wie in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zuzustimmen –, gilt es, neue Ideen zu suchen. Wie lautet die linke Antwort auf die neue Weltordnung? Gibt es defensive Rüstungskonzepte, um militärischen Schutz für Europa ohne USA zu schaffen? Das sind schwierige Fragen für eine Partei, der Pazifismus oft als Fetisch dient, um sich von allen anderen zu unterscheiden. Wenn die Linkspartei weiter ihre Nische möbliert, bleibt sie unter ihren Möglichkeiten. Viele WählerInnen der Linken ticken bei der Frage, ob man der Ukraine weiter Waffen liefern soll, übrigens viel realpolitischer als die Partei. Man sollte nicht vergessen: In der Post-Volksparteien-Demokratie sind die Stimmungsschwankungen extrem – nach oben und nach unten.
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