Russische Eliten: Putins Schwachstelle
Die größte Gefahr für das Moskauer Regime sind Eliten, deren Unzufriedenheit wächst. Und Europa? Muss ihnen eine Exitstrategie anbieten.

D ie Chancen, dass Putins Regime durch einen Volksaufstand oder durch die Exilopposition gestürzt wird, sind äußerst gering. Wenn überhaupt, werden Veränderungen in Russland von den Eliten ausgehen: der zivilen Bürokratie, Teilen des Militärs und möglicherweise wohlhabenden Unternehmer*innen – auch wenn diese Gruppe seit Jahrzehnten von Putin entmachtet wurde. Die öffentlichen Positionen der Eliten schwanken zwischen angeblich begeisterter Unterstützung des Krieges und einem zurückhaltenden Versuch, das Thema zu vermeiden. Es gibt jedoch Gründe zu vermuten, dass zumindest Teile der einflussreichen Kreise mit der aktuellen Lage unzufrieden sind.
Erstens: Da der Arbeitskräftemangel die russische Wirtschaft zunehmend in die Stagnation treibt, müssen die Eliten, die bisher von der Bonanza der Kriegswirtschaft profitiert haben, in den kommenden Jahren mit deutlich geringeren Gewinnmöglichkeiten und harten Umverteilungskämpfen rechnen. Zweitens: Putin hat in den letzten drei Jahren seinen größten Vorteil gegenüber den Eliten verspielt – die Vorhersehbarkeit und Stabilität des Regimes. Drittens: In Russland beginnt ein schleichender Prozess der Herausbildung neuer Eliten – der Veteranen des Krieges, die im Rahmen spezieller Programme gefördert werden. Zurzeit stellen diese neuen Akteure noch keine Herausforderung für die etablierten Eliten dar, aber das kann sich ändern.
ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin. Seine Forschung bewegt sich an der Schnittstelle von Politikwissenschaft und Ökonomie, mit einem Schwerpunkt auf dem postsowjetischen Eurasien und Russland.
Die Unzufriedenheit der wirtschaftlichen und politischen Spitzen führt nur in äußerst seltenen Fällen zu einem Staatsstreich. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese keinen Einfluss nehmen können. Auch wenn Putin kritische Entscheidungen aus seiner Sicht allein und ohne Beratung trifft – wie zu Beginn des Krieges –, kann er die Positionen der Eliten nicht vollständig ignorieren und passt seine Strategie zumindest teilweise an deren Erwartungen an. Außerdem könnten die Eliten passiven Widerstand leisten – wodurch die Initiativen des Regimes im bürokratischen Sumpf versinken würden. Und sollte das Regime externen Schocks ausgesetzt sein – im Extremfall Putins Tod –, werden die Eliten (und nicht die Exilopposition) eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung eines neuen Russlands spielen.
Für die Eliten ist nicht nur die Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage entscheidend, sondern auch das Vorhandensein realistischer Alternativen. Gerade die wahrgenommene Alternativlosigkeit ist ein zentraler Faktor, der ihre Loyalität gegenüber Putin zementiert. Etwas vereinfacht: Die Eliten gehen davon aus, dass eine Wiederherstellung der Beziehungen zum Westen unter für sie akzeptablen Bedingungen absolut unmöglich ist.
Skeptisch, ob Sanktionen gelockert werden
Unternehmer*innen sehen keine Chance auf eine Lockerung der Sanktionen; Bürokrat*innen glauben, dass der Westen zu keinerlei Kompromissen in den Beziehungen mit Russland bereit ist. Ob die jüngsten Aktionen von Donald Trump diese Wahrnehmung signifikant verändert haben, ist fraglich – denn niemand weiß, wer in vier Jahren ins Weiße Haus einziehen wird oder wie sich Trumps eigene Position entwickeln könnte.

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Wenn die EU Veränderungen in Russland anstrebt, muss sie den Eliten realistische individuelle und kollektive Exitoptionen anbieten. Individuelle Exitoptionen erfordern klare Regeln, unter welchen Bedingungen Elitenmitglieder von westlichen Sanktionen befreit werden können – und dabei geht es nicht zwingend um einen lebensgefährlichen offenen Widerstand gegen das Regime.
Diese Optionen sind insbesondere für Unternehmer*innen wichtig, aber auch für Bürokrat*innen, die versuchen, sich vom System zu lösen. Die Aufhebung von Sanktionen könnte etwa an hohe Sonderzahlungen (für Unternehmer*innen) oder an einen klaren Rückzug aus Politik und Verwaltung (für Bürokrat*innen) gekoppelt sein.
Noch wichtiger sind kollektive Exitoptionen: klare Signale, dass die EU und der Westen nicht alle Eliten gleichermaßen für Putins Verbrechen verantwortlich machen und im Falle politischer Veränderungen in Russland durchaus zu einem Dialog bereit sind. Eine mögliche Post-Putin-Regierung, die eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen anstrebt, wäre sehr wahrscheinlich schwach und auf Kompromisse zwischen verschiedenen Elitengruppen angewiesen.
Exitoptionen für russische Eliten
In solchen Situationen könnte es für den Westen verlockend sein, Maximalforderungen als Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen und die Aufnahme von Gesprächen zu stellen. Die konservativeren Gruppen innerhalb der Eliten würden solche Forderungen jedoch sicherlich ablehnen – was für die liberaleren Gruppierungen bedeutet, dass es keinen Sinn ergibt, überhaupt Kontakt zum Westen zu suchen. Der Westen sollte daher klar und glaubwürdig machen, dass es ihm nicht zwingend um Maximalforderungen geht.
Dass den russischen Eliten Exitoptionen angeboten werden sollten, wird seit drei Jahren diskutiert. Das Problem ist jedoch nicht nur, dass solche Optionen bislang ausblieben. Sobald man merkt, dass Putins Regime ins Wanken gerät – etwa wegen wirtschaftlicher Probleme oder militärischer Rückschläge –, setzt man auf maximalen Druck und Kompromisslosigkeit. Gilt das Regime hingegen als stabil, beginnt man, über Alternativen im Umgang mit Moskau nachzudenken. So entsteht ein Teufelskreis. In den Phasen der Stärke des Regimes sind die Eliten besonders vorsichtig oder sehen keinerlei Anreiz, sich vom Regime zu distanzieren. Wenn jedoch Anzeichen von Instabilität auftreten, sind sie potenziell zum Handeln bereit, treffen dann aber auf eine harte Haltung des Westens.
Wer auf Veränderungen in Russland hofft, muss diesen Teufelskreis durchbrechen. Das bedeutet: Gerade dann, wenn sich das Regime in Schwierigkeiten befindet, sollte der Westen Offenheit signalisieren. Das abflachende Wirtschaftswachstum könnte schon bald eine Gelegenheit bieten, den Eliten zu zeigen, dass es durchaus Alternativen zu Putin und seinem Kurs gibt.
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