debatte: Gift auf dem Teller
Oft werden Lebensmittel aus der Türkei infolge hoher Pestizidrückstände von der EU zurückgewiesen. In der Regel landen sie dann auf dem türkischen Markt
Nüsse, getrocknete Feigen, Aprikosen und Granatäpfel gehören zu den Hauptimportprodukten aus der Türkei. Nicht selten wird die Ware allerdings an den EU-Grenzen abgefangen und aufgrund zu hoher Pestizidrückstände wieder zurückgeschickt. Gelöst ist das Problem damit allerdings noch nicht.
Das Phänomen ist nicht neu. Seit 2004 müssen türkische Exporte EU-Standards erfüllen. Immer wieder werden seither Lebensmittel zurückgeschickt, weil sie bei den schärferen Kontrollen des RASFF-Systems durchfallen und einer neuen Verordnung der EU von 2020 entsprechend zu hoch mit Pestiziden belastet sind. Seit über 20 Jahren kämpft die türkische Landwirtschaft mit der Mission, die EU-Standards zu erfüllen, und scheitert immer wieder daran.
Beunruhigend ist die Frage: Was passiert mit der Ware in der Türkei? Landwirtschaftsminister Ibrahim Yumakli, der auch für Lebensmittelsicherheit zuständig ist, versicherte Anfang des Jahres in einem Fernsehinterview, dass zurückgewiesene Lebensmittel vernichtet werden würden. Belege dafür gibt es allerdings nicht.
Irritierend ist, dass keinerlei Warnungen auf der Website der Türkischen Direktion für Lebensmittelsicherheit, beispielsweise für getrocknete Feigen, Pistazien und Tomaten, zu finden sind – also für genau die Lebensmittel, die die EU abgewiesen hatte. Die Direktion für Lebensmittelsicherheit ist als offizieller Partner des RASFF für die Überwachung und Regulierung der Lebensmittelsicherheitsstandards verantwortlich. Merkwürdig ist auch der deutliche Preisverfall solcher Produkte in der Türkei nach den Rückweisungen. Der Verdacht liegt sehr nah, dass die Regierung den Menschen, die durch die Wirtschaftskrise unter Armut und Hunger leiden, hier ein giftiges Geschenk präsentiert.
Landwirtschaftsminister Yumakli ist das Problem ganz offensichtlich vertraut. So berichtete er von mehr als 250.000 Pestizidkontrollen innerhalb der letzten 3 Jahre. Der Rückstandsanteil sei um 35 Prozent reduziert worden. Tatsächlich zeigen offizielle Zahlen zum Pestizideinsatz ein völlig anderes Bild: Seit 2008 ist der Pestizidverbrauch in der Türkei stark gestiegen und nahm auch von 2021 bis 2023 kontinuierlich zu. Angesichts des Klimawandels, fehlender Aufklärung und wirtschaftlicher Unsicherheit greifen viele türkische Landwirte auf billige Pestizide zurück, was wiederum Folgen für Gesundheit, Umwelt und nachhaltige Landwirtschaft hat. Es ist ein Teufelskreis.
Auch Korruption und Mangel an Expertise in den türkischen Institutionen behindern die Kontrolle von giftigen Pflanzenschutzmitteln. Dieses Problem liegt zwar größtenteils in der Verantwortung der Türkei, ist jedoch Teil eines globalen Problems. Der Pestizideinsatz schadet nicht nur der Türkei und Drittländern, sondern auch der EU trotz bestehender Verbote. Zudem werden zum Teil sogar lebensgefährlichen Pestizide, die in der EU und in Deutschland verboten sind, durch die EU und Deutschland in Länder mit weniger strengen Vorschriften exportiert.
Sinem Vardar
ist Politikwissenschaftlerin, freie Autorin und Künstlerin. Seit 2014 lebt sie in Deutschland, absolvierte ein Masterstudium in Arabistik und arbeitete im Bereich der internationalen Zusammenarbeit, unter anderem bei der Europäischen Kommission und der Heinrich-Böll-Stiftung.
Daten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zeigen, dass Unternehmen mit Sitz in der EU im Jahr 2023 insgesamt 173.451 Tonnen Pestizide in Länder mit weniger strengen Vorschriften, darunter die Türkei, exportiert haben. Darunter waren auch in der EU und in Deutschland verbotene Stoffe wie Imidacloprid, Ethylenoxid und Phosmet, die in Rückständen bei Lebensmitteln aus der Türkei nachgewiesen wurden.
Laut der ECHA-Datenbank gehört Deutschland zu den weltweit größten Exporteuren hochgefährlicher Pestizide. Im Jahr 2022 belegte es mit einem Exportvolumen von 3,94 Milliarden US-Dollar den fünften Platz. Eine Studie von November 2022 zeigt, dass der Export verbotener Pestizidwirkstoffe sowie reiner Wirkstoffe aus Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich anstieg.
Im September 2022 kündigte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Exportverbot für bestimmte gesundheitsschädliche Pestizide an, mit dem Ziel, die entsprechende Verordnung bis zum Frühjahr 2023 umzusetzen. Das ist bis heute nicht passiert. Gleichfalls hat sich die EU zum Ziel gesetzt, im Rahmen des Europäischen Grünen Deals und der Farm-to-Fork-Strategie die Exportvorschriften für gefährliche Pestizide bis Ende 2023 zu verschärfen. Kein konkretes Gesetzesvorhaben wurde bisher umgesetzt.
Ein im Dezember 2024 in den Niederlanden veröffentlichter Bericht zeigt, dass verbotene Pestizide, die in die Drittländer exportiert werden, als Importe oft ihren Weg zurück zu den Verbraucher*innen in der EU finden. Die internationale non-profit-Organisation foodwatch fordert deshalb die vollständige Einstellung der Produktion und das Verbot solcher Pestizide.
Die Folgen giftiger Pflanzenschutzmittel betreffen nicht nur den Giftgehalt in Reis, Nüssen, Obst, Gemüse und Gewürzen, sondern auch die Umwelt. Betroffen sind vor allem Gewässer, die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität, was wiederum die globale Ernährungssicherheit und öffentliche Gesundheit gefährdet.
Die Pestizidproblematik ist ein globales Thema, das nicht nur die Türkei und Drittländer betrifft. Die Verantwortung für die Lösung dieses Problems liegt auch bei den Ländern, die diese Pestizide exportieren. Es ist dringend notwendig, die Kontrolle und Regulierung von Pestiziden weltweit zu verschärfen und alternative Methoden einzuführen, um die Gesundheit der Verbraucher*innen zu schützen und die Umwelt zu bewahren. Solange dieses Problem nicht als globales Anliegen behandelt wird und die Profitinteressen über Nachhaltigkeit und Gesundheit gestellt werden, wird die weltweite Lebensmittel- und Umweltkrise weiter verschärft und die öffentliche Gesundheit gefährdet. Das Problem ist nicht gelöst, wenn das Gift auf den Tellern in Drittstaaten landet und trockene Aprikosen durch getrocknete Äpfel ersetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen