Klimakrise und Klimabewegung: Dramatische Ignoranz
Die Menschen haben Sorgen: zu viele Kriege und zu wenig Hoffnung. Der Kampf gegen die Klimakatastrophe darf darüber nicht vergessen werden.
D as Klima ist gerade nicht so wichtig, die Menschen haben andere Sorgen.“ Wer sich in diesen Zeiten fürs Klima einsetzt, hört aktuell wohl kaum einen Satz so häufig wie diesen. Gebetsmühlenartig versuchen Politiker*innen so, ihre Ignoranz zu rechtfertigen und Klimaaktivist*innen zu diskreditieren.
Viel dramatischer allerdings ist, dass diese Geschichte auch bei einst Klimabewegten verfängt, die beginnen, die Idee der klimapolitisch desinteressierten Gesellschaft selbst zu übernehmen. Mitarbeiter*innen von Klimaorganisationen also, die bei den ersten Klimastreiks Lautsprecher und warmen Tee organisierten. Aktivist*innen, die vor wenigen Jahren noch die Bagger in den Tagebauen mit ihren eigenen Körpern zum Erliegen brachten.
Aber die Erzählung, dass „Klima kein Thema mehr“ sei, ist falsch. Und sie droht zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden, wenn sie weiter kursiert. Sie demotiviert die Klimabewegten, die sich weiterhin engagieren, und gibt allen, die auf fossile Interessen setzen, eine bequeme Ausrede für Untätigkeit oder Rückschritte. Es stimmt natürlich, dass die Preissteigerungen, Wirtschaftskrise, Kriege in der Ukraine und Nahost vielen Menschen – zurecht – Sorgen bereiten. Was wir aber auch wissen: Der weitaus größte Teil der Menschen macht sich weiterhin Sorgen um die Klimakrise und wünscht sich mehr Klimaschutz von der Regierung. Das gilt für Wähler*innen der Grünen genauso wie für jene der CDU.
Wer weiterhin Politik nach einer eindimensionalen Hierarchisierung von Sorgen der Bevölkerung macht, wird an der Realität scheitern. Es gibt genug junge Menschen, die sich riesige Sorgen um den Planeten machen und gleichzeitig für ihren Führerschein sparen und sich fragen, wie der Sprit in Zukunft bezahlbar bleibt. Das sind Menschen, die für den Klimaschutz zu gewinnen sind, die man aber genau dann verliert, wenn man ihnen das Gefühl vermittelt, dass die Ökologie nur noch Thema für diejenigen sei, die sonst keine anderen Probleme haben.
Rechte und Konservative triumphieren
In den letzten Monaten war zu beobachten, wie Progressive dabei versagen, genau diese Gleichzeitigkeit anzuerkennen und zu erzählen. Stattdessen lassen sie – von Verbänden bis hin zu Parteien – das Klima lieber fallen, verunsichert durch den Gegenwind und überlassen die Debatte denjenigen, die unsere Lebensgrundlagen nur allzu gern für die Profite fossiler Großkonzerne über Bord werfen.
Rechte und Konservative triumphieren dabei, eine Geschichte zu spinnen, die das Klima zum Irrelevanten verklärt. Wenn wir nicht aufpassen, fällt uns zwar irgendwann unser Irrweg auf, aber womöglich haben wir dann bereits jegliche Deutungshoheit verloren, zersetzt durch die Erzählungen der Rechten.
Das Zurückstellen des Themas aus taktischen Überlegungen birgt eine weitere Gefahr: Ohne übers Klima zu sprechen, werden wir Klimaschutz nicht umsetzen können. Wer glaubt, Klimaschutz geräuschlos nebenbei abzuwickeln, der sitzt einer gewaltigen Illusion auf. Als wir das erste Mal freitags die Schule bestreikten, war die Aufregung über unseren Protest groß. Größer war jedoch etwas anderes: die Hoffnung. Lehrkräfte, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen erzählten uns, dass sie endlich wieder ein Licht am Ende des Tunnels sähen.
Unsere Proteste waren kein verzweifelter oder entnervter Aufschrei mehr, sie waren zum Ausruf einer kollektiven Erleichterung geworden. Endlich waren da junge Menschen, die sich mutig für ihre Zukunft einsetzten und sich den fossilen Logiken des politischen Betriebs widersetzten. Und endlich hatte die Gesellschaft eine Projektionsfläche für ihre Hoffnungen gefunden und machte uns damit anschließend direkt zum Verantwortungsträger in allen Klimakrisenfragen.
Mittlerweile kommen bedanken sich die Erwachsenen nicht mehr bei uns, sondern fragen zunehmend verzweifelt, wo die Hoffnung denn hin sei. Dass die Jugend die größte Herausforderung unserer Zeit allein lösen könnte, war von Anfang an eine Illusion. Nur durch die jahrelange, oft fast unbemerkte Arbeit von Klimabewegten aller Generationen, nur durch die Selbstorganisation vieler Menschen, konnten unsere Klimastreiks überhaupt ihre Wucht und Größe entfalten. Selbst dann, als Klima gerade nicht ganz oben auf der politischen Prioritätenliste stand.
Die Frage nach dem Ob, ist faul und feige
Politisch mächtig konnten Klimathemen nur werden, weil Menschen in Unternehmen, in Klimaorganisationen, in der Politik diesen Impuls aufnahmen. Die kleineren Proteste, die nachlassende politische Aufmerksamkeit, die vermehrt negative Stimmung gegenüber Klimaaktivist*innen lassen mich nicht kalt, ganz im Gegenteil. Gleichzeitig sind diese Veränderungen auch deshalb so hart, weil die Klimastreiks 2019 Millionen auf die Straße gebracht haben. Weil wir erfolgreich den Kohleausstieg erkämpft haben. Weil wir die fossile Lobby so überrollt haben, fühlt es sich heute umso härter an, wenn der Klimaschutz angegriffen wird.
Wo Klimaschutz diskursiv unter die Räder gerät, kratzt das am politischen Selbstbewusstsein aller Klimabewegten. Wir können und sollten die Herausforderungen zum Anlass nehmen, uns zu fragen, wie wir weiter fürs Klima kämpfen. Wenn daraus allerdings die Frage nach dem ob wird, ist das faul und feige. In dem Jahr, in dem die Klimakrise in einem selbst für Wissenschaftler*innen schockierenden Tempo eskaliert, ist die Klimaignoranz der Progressiven ein Desaster für uns alle. Aktuell nimmt keine politische Partei die ökologische Realität in der ihr gebührenden Drastik ernst.
Wenn die ehemals Klimabewegten so weitermachen wie bisher, wird sich im Wahlkampf daran nichts ändern. Nein, viel mehr noch, dann schaffen sie einen Raum, in dem Klimaschutz zwischen den Rückschrittsforderungen von Friedrich Merz und dem Business-As-Usual-Gerede von SPD und Grünen gemütlich zerrieben werden kann. Ob es tatsächlich so weit kommt – dafür tragen wir alle die Verantwortung.
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