debatte: Nicht verboten, aber bedroht
Das Kurdische hat in der Türkei ein schweres Los. Es gab zwar Lockerungen seit 2009, doch das Ziel des türkischen Staates hat sich nicht geändert.
AbdullahIncekan
ist promovierter Sprachwissenschaftler und Pädagoge. Er studierte Germanistik, Turkologie sowie interkulturelle Pädagogik und veröffentliche zahlreiche Texte in diversen Sprachen über Kurden und die kurdische Sprache. Darüber hinaus hat er auch Werke von Rilke ins Kurdische übersetzt.
Die ethnischen Minderheiten in der Türkei werden seit jeher als Menschen zweiter Klasse betrachtet, die sprachlich und kulturell assimiliert werden sollten. Der türkische Staat hat dieses Ziel bei vielen Minderheiten erreicht. Mittlerweile wachsen nur noch ganz wenige Menschen dort mit Griechisch, Lasisch oder einer anderen Minderheitensprache auf.
Im Zuge der Annäherung an Europa konnte man zwar manchmal den Eindruck gewinnen, dass bezüglich der Sprachen in der Türkei eine Öffnung stattfindet, doch das trügt. Der Versuch, die Minderheiten insbesondere sprachlich zu assimilieren, läuft weiterhin auf Hochtouren. Zu dieser Gruppe gehören auch Kurden, die aufgrund der starken Bevölkerungszahl bisher nicht unter Kontrolle zu kriegen waren. Die jüngste Studie des in Diyarbakır ansässigen Meinungsforschungsinstituts Rawest belegt die staatliche Macht über die kurdische Minderheit deutlich. Demnach sprechen 48 Prozent der Befragten mit ihren Eltern Kurdisch; doch diese Zahl schrumpft auf 13 Prozent, wenn es um die Frage geht, in welcher Sprache sie mit ihren Kindern sprechen. Damit ist die Vitalität der kurdischen Sprache gefährdet. Eine genaue Betrachtung der türkischen Sprachpolitik zeigt, wie trügerisch und unehrlich diese stets gewesen ist.
Kurdisch gehört weltweit zu den wenigen Sprachen, deren Nutzung jahrzehntelang als Straftat galt und deshalb auch geahndet wurde. Das türkische Sprachverbotsgesetz verbot bis zum Jahr 1991 die kurdische Sprache in allen erdenklichen Lebensbereichen – sogar kurdische Namen waren verboten. Das Gesetz wurde zwar aufgehoben, doch in der Praxis wurde die kurdische Sprache weiter diskriminiert.
Auch wenn im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen bis zum Jahr 2009 einige Lockerungen vorgenommen wurden, wurden die ersten ernstzunehmenden Fortschritte in den Jahren 2009 bis 2013 sichtbar. Im Januar 2009 gründete der staatliche türkische Sender einen Fernsehkanal, der 24 Stunden in Kurdisch sendet – allerdings mit der Einschränkung, dass Programme für Kinder nicht ausgestrahlt werden dürfen. Damit wurde den Kindern die Chance verwehrt, in ihrer Sprache Kindersendungen zu gucken, etwas, das ja eventuell zu einer positiven Haltung gegenüber dem Kurdischen führen könnte.
Im Jahr 2011 wurden an einigen Universitäten Lehrstühle für kurdische Sprache und Literatur gegründet. Eingang in schulische Lehrpläne findet Kurdisch im Jahr 2012 als zweistündiges Wahlpflichtfach für die Klassen sechs bis acht. Sowohl die Lehrstühle als auch das Wahlpflichtfach enthalten keine explizite Erwähnung des Begriffs Kurdisch, sie laufen unter Bezeichnungen wie „lebende Sprachen“ oder „in der Türkei im Alltag gebrauchte Sprachen“. Selbst bei diesen beschriebenen Legalisierungstendenzen wurde also der kurdischen Sprache eine staatliche Anerkennung verwehrt. Und: Diese Fortschritte wurden nicht gesetzlich unter Schutz gestellt, sodass seit dem Militärputschversuch im Jahr 2016 vieles wieder rückgängig gemacht worden ist.
Der Vorsitzende des kurdischen Lehrstuhls der Universität Artuklu, Hayrullah Acar, stellt einen rückläufigen Trend fest: „Als unser Lehrstuhl im Jahr 2011 gegründet wurde, gab es sehr großen Zulauf. Wir hatten jedes Jahr um die 3.000 Bewerbungen, aus denen wir rund 500 Studierende auswählten. Das Interesse war sehr groß. Nach der ersten Etappe hatten wir 1.200 Absolventen, die als Kurdischlehrer arbeiten sollten. Das Ministerium hat in den Anfangsjahren auch kurdische Lehrer und Lehrerinnen eingestellt. Es waren zwar in den ersten Jahren wenige, etwa 10 bis 15 Lehrerstellen pro Jahr, aber es gab sie auch für unseren Bereich. Das hat am Anfang die Studierenden ermuntert, Kurdisch zu studieren, weil sie auch hofften, dass das Kontingent aufgestockt wird. Doch ab 2015 erfolgte die Kehrtwende. Zunächst einmal wurden in der ganzen Türkei nur noch zwei oder drei Lehrerstellen für Kurdisch zur Verfügung gestellt. Und seit vier Jahren gar keine mehr. Das spüren wir sehr stark. Mittlerweile haben wir nur noch 25 bis 30 Studierende.“
Da Kurdischlehrer*innen nicht mehr eingestellt werden, bieten die Schulen auch keinen Unterricht an. Sie berufen sich darauf, dass sie keine Kurdischlehrer*innen an den Schulen haben und daher keinen Kurdischunterricht anbieten können. So bekommen kurdische Kinder in ihrer ganzen Schullaufbahn keine Möglichkeit, in der eigenen Muttersprache ein einziges Wort zu schreiben. Die Einschulung und der Fachunterricht erfolgen in türkischer Sprache.
Die Kurdischlehrstühle haben mittlerweile gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich keinen Wert mehr, sie verkaufen eine brotlose Kunst. Und in den anderen Bereichen des öffentlichen Lebens kommt die kurdische Sprache nicht vor. „Der Ausschluss der kurdischen Sprache aus dem öffentlichen Leben führt dazu“, so der Verleger Süleyman Çevik, „dass die Rolle der kurdischen Sprache unter den Kurden stark abnimmt. Man kann sagen, dass mittlerweile die Anzahl der assimilierten Kurden die der nicht assimilierten Menschen übertrifft.“
Die kurdische Sprache ist auf gesetzlicher Ebene in der Türkei nicht mehr verboten – zumindest in bestimmten Lebensbereichen nicht, aber auf praktischer Ebene hat sie keinerlei Chancen, sich zu entfalten, da sie weder einen offiziellen Status noch Rahmenbedingungen hat. Das passt ins Konzept des türkischen Staats: Die Anzahl der Kurdischsprecher nimmt stetig ab. Auf der Liste der bedrohten Sprachen der Unesco steht bereits eine der Varietäten des Kurdischen: die Zazakî-Varietät. Doch die eingangs zitierte Studie belegt, dass nicht nur die Existenz dieser Varietät gefährdet ist, sondern auch die des Kurmancî-Kurdischen. Und zwar so lange, bis sich der Status und die Rahmenbedingungen in eine positive Richtung verändert haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen