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das wird„Es gibt viel Unwissen über Russlanddeutsche“

Ina Peter kam mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland. Nun hat die Journalistin ein Buch über Russlanddeutsche geschrieben

Interview Wilfried Hippen

taz: Frau Peter, warum ist es wichtig, gerade jetzt über Russlanddeutsche zu informieren?

Ira Peter: Weil die meisten Russlanddeutschen schon über 30 Jahre in Deutschland leben, aber immer noch so viel Unwissen in Verbindung mit dieser größten Gruppe von Eingewanderten in Deutschland herrscht. Es ist an der Zeit, Vorurteile abzubauen und den Blick auf diese Gruppe mit ein wenig Empathie anzureichern.

taz: Stimmt das Timing auch im größeren Rahmen, weil mit dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine die Russlanddeutschen eine große Projektionsfläche bieten?

Peter: Genau so ist es. Das zeigt auch eine wissenschaftliche Untersuchung, die ich in meinem Buch zitiere und nach der die Berichterstattung rund um Russlanddeutsche in den vergangenen drei Jahren zu etwa 70 Prozent in Zusammenhang mit Russlands Großinvasion stattgefunden hat. Da gibt es jetzt einen viel größeren Rechtfertigungsdruck, dem auch ich mich ausgesetzt gefühlt habe.

taz: In Ihrem Buch nennen Sie sich selbst eine „Mitgebrachte“. Was meinen Sie damit?

Peter: Ich bin als Neunjährige mit meinen Eltern aus Kasachstan in die Bundesrepublik gekommen. Ich zähle mich zu der Generation der Mitgebrachten. Dieser Begriff kommt aus der Sozialwissenschaft und damit werden Menschen bezeichnet, die im Kinder-oder Jugendalter von ihren Eltern bei deren Migration von einem Land in das andere mitgenommen worden sind.

taz: Basiert Ihr Buch dann vor allem auf Ihren persönlichen Erinnerungen?

Lesung „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ mit Ira Peter: heute, 19 Uhr, Handwerkskammer Hamburg

Das Buch ist im Goldmann-Verlag erschienen, 256 S., 22 Euro; E-Book 16,99 Euro

Peter: Ich habe biografische Erlebnisse mit Daten und Fakten vermischt, die auf die Gesamtbevölkerung mit einem russlanddeutschen Hintergrund schließen lassen.

taz: Sie zitieren eine Untersuchung, nach der etwa ein Fünftel der Russlanddeutschen Fans von Putin sind.

Peter: Warum das so ist, hat verschiedene Gründe. Ein Teil dieser Menschen hat vielleicht noch Familienangehörige in Russland und fühlt sich dem Land deshalb eher verbunden. Andere sind hier emotional vielleicht nie angekommen, weil sie nach der Umsiedlung nicht an ihre Karrieren im Herkunftslandanknüpfen konnten oder hier ihre mitgebrachte deutsche Identität nicht anerkannt wurde. Manche sind in ihrer sprachlichen Blase geblieben und konsumieren eher russische Massenmedien. Und sind so seit Jahren einer massiven Propaganda ausgesetzt.

taz: Andererseits scheint ein Fünftel relativ wenig zu sein.

Peter: Ja, denn Russlanddeutsche haben als Minderheit sehr unter der Sowjetdiktatur gelitten. Ihnen wurde von Stalin eine Kollaboration mit Hitlerdeutschland unterstellt. 1,2 Millionen Menschen wurden darum aus den westlichen Gebieten des Sowjetreichs nach Zentralasien oder Sibirien deportiert. Diese Erfahrung bleibt bis heute prägend, zumal viele Russlanddeutsche in der heutigen Russischen Föderation eine Kontinuität dieser Geschichte sehen. Dass Putin ausgerechnet Stalin rehabilitiert und dessen Erbe nutzt, um seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine ideologisch zu untermauern, steht in scharfem Kontrast zu den Erfahrungen vieler Russlanddeutscher mit stalinistischer Gewalt und staatlicher Verfolgung.

Foto: Arthur Bauer

Ira Peter

1983 in der Sowjetrepublik Kasachstan geboren, lebt seit 1992 in Deutschland. Sie arbeitet als freie Journalistin unter anderem für Zeit online, SWR Radio, FAZ und die taz sowie als Podcasterin („Steppen­kinder“) und Moderatorin.

taz: Und viele von ihnen durchlebten ein weiteres Trauma in der Bundesrepublik.

Peter: Ich habe ein ganzes Kapitel über diese doppelte Traumatisierung geschrieben. In Russland wurden sie als Deutsche diskriminiert und hier manchmal nicht als Deutsche anerkannt. Für viele Menschen war es dann sehr schwierig, in einem Land zu leben, von dem sie sich so viel versprochen hatten und von dem sie dann enttäuscht wurden.

taz: Warum nennen Sie dies die Opferfalle?

Peter: Weil man sich nicht erschüttern lassen soll, wenn zum Beispiel der Berufsabschluss nicht anerkannt wird. Es ist wichtig, dass man eigenständig nach Lösungen sucht und nicht verbittert – auch wenn das viel Kraft kostet. Auf der anderen Seite wäre es schön, wenn die Gesellschaft diese Menschen unterstützt. Denn wenn einzelne Gruppen sich hier emotional nicht aufgehoben fühlen und sich deshalb nicht integrieren sondern zurückziehen, verstärkt das eine Spaltung Deutschlands.

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