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das portraitRudolf Hess wird Ehrung gestrichen

Nicht der Nazi, sondern der Arzt: Rudolf Hess Foto: Archiv

Rudolf Hess droht, in Vergessenheit zu geraten. Also: Nicht Hitlers Stellvertreter, an den erinnern ja die Neonazis jedes Jahr. Sondern der andere,­ Professor Dr. med. Rudolf Hess, einst Kinderarzt und Klinikdirektor in Bremen.

Bisher ist ein kommunales Kinderkrankenhaus nach ihm benannt, doch gerade wird für 70 Millionen Euro ein ganz neues Klinikum gebaut – und das soll eines der „größten und modernsten“ seiner Art in ganz Deutschland werden, hat der Chefarzt der „Prof.-Hess-Kinderklinik“ bei einem Baustellenrundgang gerade erklärt. Vor allem aber soll es einen anderen Namen bekommen. In den Plänen heißt es derzeit­ „Elki“, was für Eltern-Kind-Zentrum steht. „Prof.-Hess-Kinderklinik“ scheide als Name aus, sagte der Chefarzt zum Weser-Kurier,­ „weil mit dem neuen Krankenhaus eine andere Zeitrechnung beginne“. Die Klinik werde am Ende wohl einfach „Kinderkrankenhaus Bremen“­ heißen. Daran würde sich auch bestimmt niemand stören, wäre es nicht bisher anders gewesen.

1928 wurde jener Rudolf Hess in Bremen zunächst leitender Kinderarzt in der Städtischen Krankenanstalt, danach war er am Aufbau der neuen Kinderklinik beteiligt. 1933 zwangspensionierten die Nazis den damals 47-Jährigen als „Mischling ersten Grades“, weil seine evangelische Mutter jüdischer Herkunft war. Im Elsass,­ wo er 1916 habilitierte, drei Jahre später aber ausgewiesen wurde, sagten sie ihm: „Bliwe Se Herr Doctor, im Dütschland wirds nix. Aber damals hat keiner gedacht, daß man mal das Ausharren für Dütschland so bezahlen müsse.“ So schrieb er es 1935 in einem Brief.

Einer Deportation entging Hess: Zwar wurde er 1944 im Arbeitserziehungslager in Bremen-Farge inhaftiert, nach zehn Tagen aber als „nicht geeignet für schwere Arbeit“ entlassen. Er konnte in der Lüneburger Heide untertauchen und wurde nach dem Krieg wieder Chef der Kinderklinik, die 1966, vier Jahre nach seinem Tod, nach ihm benannt wurde.

„Es entsteht ein neues, großes Kinderkrankenhaus, das deutlich über das Leistungsspektrum der Prof. Hess-Kinderklinik hinausgeht“, erklärt die kommunale Klinikholding auf Nachfrage – und dass ein neuer Name deshalb sinnvoll sei, zudem auf den Wunsch vieler MitarbeiterInnen zurückgehe. Das hat nun „auch vor dem Hintergrund des wieder zunehmenden Antisemitismus“ die Grünen in der Stadtbürgerschaft auf den Plan gerufen, die sich mit kritischen Fragen an den eigenen rot-grün-roten­ Senat wenden und sich um „angemessenes Gedenken“ an Rudolf Hess sorgen. Man wolle sich nicht gegen den Senat stellen, beeilt­ sich die Klinik nun zu erklären. Sie beabsichtigt,­ im Eingangsbereich des neuen Hauses auf Hess zu verweisen. Jan Zier

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