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brüsseler spitzenGuy im Wunderland

die eu-parlamentskolumne

von Eric Bonse

Jetzt sprechen alle in Brüssel Englisch. Denn jeder will beim Brexit mitreden. Zwar werden die Scheidungsgespräche mit den Briten vor allem von der EU-Kommission geführt. Doch auch das Europaparlament mischt mit. Bei einer Aussprache in Straßburg fand Verhandlungsführer Guy Verhofstadt sogar aufsehenerregende Worte.

Die Tür zur EU stehe für Großbritannien weiter offen, so der belgische Liberale. „Aber wie bei ‚Alice im Wunderland‘ sind nicht alle Türen gleich“, warnte Verhofstadt. „Es wäre eine brandneue Tür mit einem neuen Europa, einem Europa ohne Rabatte, ohne Komplexität, mit wirklicher Macht und mit Einigkeit.“

Das klang verlockend, fast wie im Traum: Exit vom Brexit. Eine brandneue Tür zu einem neuen Europa. Angela Merkel hätte es niemals so schön ausdrücken können. Sie hätte irgendetwas von „Annullierung des Aus­tritts­an­trags“ und von „Rückkehr in das europäische Haus“ gesagt. Wenn überhaupt.

Ist das wirklich eine gute Idee? Kaum. Allein schon der Gedanke, Premierministerin Theresa May könne einen Rückzieher machen, macht Angst. Man stelle sich vor, wie die angeschlagene „eiserne Lady“, die alle Brücken nach Europa kappen will, plötzlich wieder durch die Tür des EU-Ratsgebäudes in Brüssel kommt!

Ein fröhliches „Hello, I’m back“ würde niemand überzeugen. Denn May hat schon zu viel Porzellan zerschlagen, daheim in London und hier in Brüssel. Ihr tief gespaltenes, antieuropäisch gewendetes Land ist derzeit einfach nicht in der Verfassung, konstruktiv am Aufbau eines neuen Europas mitzuarbeiten.

Und was heißt schon neues Europa? Wenn die Briten jetzt ein Comeback versuchen würden, dann kämen sie in die alte EU zurück. Mit Britenrabatt, mit Komplexität, ohne Macht und Einigkeit. Denn Verhofstadts Reformen sind Zukunftsmusik. Und UK ist noch bis März 2019 EU-Mitglied. Bis dahin behält es alle Rechte und Privilegien.

Klar, Merkel würde ein Rückzieher wohl gefallen. Dann müsste sie sich nicht mit den aufmüpfigen Franzosen herumschlagen, sondern könnte wieder mit reumütigen Briten kungeln. Doch für Europa wäre das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Es wäre nicht „Alice im Wunderland“, sondern back to the future.

Das neue Europa, von dem Guy Verhofstadt träumt, muss erst noch erkämpft werden. Bisher spricht wenig dafür, dass dies in zwei Jahren gelingt. Denn statt über die EU-Reform reden alle nur noch über den Brexit.

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