berlin-buch-boom: Eine Auswahl von Werner Eckelts Fotografien erzählt im Bildband „Requiem auf West-Berlin“ von einer Reise zu den Inseln des reinen deutschen Gemüts
Als Gestern noch ruhig schlafen konnte
Auf Seite 35 des Buches „Requiem auf West-Berlin“ sieht man eine Fotografie des Potsdamer Platzes und der ihn teilenden Mauer. Auf die Mauer steht gesprayt oder gemalt: „NPD/JN Weg mit dem Schießbefehl“. Ein anderes Bild zeigt die Ankunft des Schahs in Berlin: „Jugend im Protest“ steht darunter. Fotos von Polizeiknüppeln und blutenden Demonstranten fehlen.
Der Fotograf Werner Eckelt ist bereits verstorben, sodass ihm der jetzt erschienene Bildband, für den Manfred Heckmann und Julius H. Schoeps sein Werk gesichtet haben, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Wohl aber den Herausgebern. Sie gedenken hier ein Bild von West-Berlin zu zeichnen, gegen das sich alle Abgesänge auf die Ku’damm-Kultur der Fünfziger wie eine topkritische Analyse lesen. Denn nicht nur, dass hier ins Schwarzweißarchiv gegriffen wurde, um das Werk eines Fotografen in den Dienst einer merkwürdigen Botschaft zu zwingen, nein, man hat diese Sammlung der für sich schönen Fotografien auch noch um Erinnerungsaufsätze von Erich Böhme oder Wolf Jobst Siedler und ein Gedicht von Markus Lüppertz ergänzt.
So beschwört man, wie sonst nur in der BZ-Redaktion und in ein paar Acht-Zimmer-Wohnungen in Zehlendorf, ein West-Berlin, in dem eine Kommune 1, eine FU oder auch eine SEW nicht existiert haben. Die eine Hälfte der geteilten Stadt wird hier zur Insel des reinen deutschen Gemüts, in dem man nicht mehr zu tun hatte, als Currywürste zu verspeisen, ’ne Molle zu zischen, Mauer zu gucken und die gute alte Zeit zu beklagen.
Die Bildunterschriften ebenso wie die Erinnerungstexte der Promis reden von der einstigen Inselstadt wie Neckermann-Touristen von einem Afrikaurlaub: Sie fanden alles obskur und interessant, aber nichts hat sie wirklich betroffen. So wird auch das einsam stehende Weinhaus Huth beschworen. An das kann man sich in diesem sonst so gern in den Sechzigern und Siebzigern suhlenden Band nur deshalb erinnern, weil man verdrängt hat, dass bis vor fünfundzwanzig Jahren am Potsdamer Platz auch noch die einfach nur nie mehr sanierten Ruinen des Vox-Hauses, des Hauses Vaterland und anderer einstiger Sehenswürdigkeiten zu finden waren. Das hat man ebenso wie die diversen heute nicht mehr geliebten Neubauaktionen in Wedding, Steglitz, im Hansaviertel und am Ernst-Reuter-Platz schön fein aus dem Band herausgelassen – um uns ein West-Berlin zu zeigen, dass an und für sich bereits die Idylle mit Drama war.
Von der Weltstadt, die West-Berlin noch in den Achtzigern so gern geworden wäre, ist nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, das Buch ist der reinste Savignyplatz: Egal wie man gerade gebaut hat, es soll so aussehen, als habe es solche Fassaden schon immer gegeben. Und so wird nun ein Berlin angedeutet, das vor lauter Gemütlichkeit einerseits und Berlinale-Prominenz andererseits strotzt. Allerdings hat die Methode auch ihr Gutes: durch die Piefigkeit, mit der Schoeps und Heckmann die Bilder ausgewählt und arrangiert haben, weiß man noch einmal, warum West-Berlin in den Achtzigern vom Spiegel gerne „Groß-Bielefeld“ genannt wurde.
JÖRG SUNDERMEIER
Werner Eckelt: „Requiem auf West-Berlin. Bilder aus einer verlorenen Zeit“. Henschel Verlag, Berlin 2000, 143 S., 49,90 DM
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