aufreger: „Problem-Jugendliche“ in Österreich leben hinter Stacheldraht
Wie sich die Regierungspartei FPÖ den Umgang mit Flüchtlingen und schwierigen Jugendlichen vorstellt, konnte man dieser Tage in der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Drasenhofen beobachten. Unweit der tschechischen Grenze steht dort ein Gebäude, wo bis zum vergangenen Wochenende zwei Dutzend unbegleitete Jugendliche hinter Stacheldraht untergebracht waren. Auf einem Video ist zu sehen, wie einer der Insassen, der durch den Zaun mit einem Fernsehteam sprechen wollte, von uniformierten Männern eingefangen und ins Gebäude zurückgebracht wird.
Eine Reportage im Morgenjournal des Kultursenders Ö1 machte den Skandal am Freitag publik. Der Vorwurf, die Minderjährigen würden in dem Lager interniert, wurde von der Kinder- und Jugendanwaltschaft bestätigt. „Es ist ihnen laut Aussage der anwesenden Mitarbeiterin nur erlaubt, die Einrichtung ausschließlich mit Security und nur für sehr begrenzte Zeit zu verlassen. Dies erweckte den Anschein eines Freiheitsentzuges“, so deren Bericht.
Dieser kurze Ausgang reichte gerade zum Besuch der örtlichen Tankstelle zwecks Zigarettenkauf. Das Dorf liegt mehr als eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Der für Asyl zuständige Landesrat Gottfried Waldhäusel von der FPÖ begründete diese Unterbringung mit dem Schutz der Jugendlichen. Denn im Dorf seien nicht alle der Meinung, „dass das lauter liebe Kerle sind und dass die ungefährlich sind“. Vielmehr gebe es auch „Menschen, die hier anders denken“. Auch wohlmeinende Kolumnisten fühlten sich bei diesen Worten an den „gesunden Volkszorn“ erinnert, wie er sich vor 80 Jahren „spontan“ gegen Juden gerichtet habe.
Nach der Darstellung Waldhäusels handelt es sich bei den Angehörigen verschiedener Nationalitäten um gefährliche Straftäter, von denen einige in den Drogenhandel verstrickt seien und andere schwere Körperverletzungen begangen hätten. Deswegen hätte keine andere Einrichtung sie haben wollen. Caritas und Diakonie, die die jungen Männer vorher betreut hatten, widersprachen dieser Darstellung. Einige stecken noch im Asylverfahren, andere genießen subsidiären Schutz oder warten auf ihre Abschiebung bei Erreichen der Volljährigkeit.
Auch Drasenhofens Bürgermeister Reinhard Künzl (ÖVP) klagte, dass die Unterkunft an der tschechischen Grenze eine „Schande für Österreich“ sei: „Es wird jeder denken, wenn ich einen Stacheldraht sehe, dann sind das Verbrecher.“ Wären sie das wirklich, wären sie verurteilt „und sitzen irgendwo in einem Gefängnis“.
Ungewöhnlich schnell zog Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die dem Landesrat des Koalitionspartners Narrenfreiheit gelassen hatte, die Notbremse. Noch am Freitag schickte sie die Kinder- und Jugendanwaltschaft, um die Vorwürfe zu überprüfen. Neben hygienischen Mängeln in der Einrichtung stellte diese fest, dass das Asylquartier „aus jugendrechtlicher Sicht nicht geeignet“ sei. Die Zimmer verfügten über keine Möbel, die Aufenthaltsräume über keine Betätigungsmöglichkeiten. Der Stacheldrahtzaun müsse entfernt sowie eine geeignete sozialpädagogische Betreuung sichergestellt werden.
Während Asylanwalt Georg Zanger Waldhäusel wegen Freiheitsentziehung und Missbrauch der Amtsgewalt angezeigt hat, fordert die Opposition im Niederösterreichischen Landtag, dem Scharfmacher den Bereich Asyl zu entziehen. Indra Collini, Landessprecherin der liberalen Neos: „Herr Waldhäusel als Landesrat für Asyl und Integration ist nicht länger tragbar. Er beschädigt wiederholt den Ruf unseres Bundeslandes und er leistet keinen Beitrag zur Lösung der Herausforderungen.“
Am Dienstag soll die Affäre in einer Sitzung der niederösterreichischen Landesregierung diskutiert werden. Aber Waldhäusel zeigt sich weiter uneinsichtig und sieht seine Partei stramm hinter sich. Auch Innenminister Herbert Kickl will nicht verstehen, was am Internieren schwieriger Jugendlicher falsch sein soll. Ralf Leonhard, Wien
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen