Zyperns Außenminister Kombos: „Die Teilung überwinden“
Seit 50 Jahren ist Zypern zweigeteilt. Außenminister Konstantinos Kombos über Ansätze zur Konfliktlösung und Zyperns Rolle in einer explosiven Region.
taz: Herr Außenminister, jedes Jahr heulen am 15. Juli und 20. Juli die Sirenen in der Republik Zypern. Sie sollen an den Staatsstreich am 15. Juli 1974 und den Einmarsch türkischer Truppen in den Norden der Insel erinnern. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Sirenen hören?
Konstantinos Kombos: Das sind Tage voller Trauer. Jede Familie auf Zypern hat Erlebnisse und Erinnerungen aus diesen Tagen. Leider hat eine große Zahl unserer Mitbürger Verluste zu beklagen. Tote, Vermisste. Menschen wurden entwurzelt. Das sind Tage der Reflexion. Der Frage, wie es so weit kommen konnte. Das ist kein historisches Ereignis ohne Folgen, sondern hat eine andauernde Teilung ergeben. Wir werden uns nie damit abfinden. Dieser Zustand ist nicht nachhaltig. Wir haben weiter für eine Gesamtlösung zu kämpfen.
Weshalb ist der heutige Zustand nicht nachhaltig?
47, geboren in Limassol, ist Jurist, Hochschullehrer und seit März 2023 Außenminister der Republik Zypern. Die taz traf ihn zum Exklusivinterview in seinem Amtssitz in Nikosia.
Erstens muss das Narrativ aus unseren Köpfen verschwinden, dass es sich beim Zypernkonflikt um einen eingefrorenen Konflikt („frozen conflict“) handelt. Das ist eine sehr gefährliche Situation, die auf Zypern herrscht. Im besetzten Norden der Insel sind 40.000 türkische Soldaten stationiert, in Angriffsstellung gegen uns. Ferner ereignen sich Zwischenfälle in der Pufferzone und auf dem Meer in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Republik Zypern. Es kann jeden Moment ein Aufflammen geben.
Zypern ist seit 1974 de facto geteilt. Die letzten Gespräche zwischen griechischen und türkischen Zyprioten zur Lösung des Zypernkonflikts sind 2017 gescheitert. Warum ist bis heute keine Lösung erzielt worden?
Aus einer Reihe von Gründen. Zuallererst hat das mit dem Starrsinn der Türkei zu tun. Bei allem Respekt gegenüber den Anführern der türkischen Zyprioten über all die Jahre: Deren Position im Zypernkonflikt wird in Ankara festgelegt. Zweitens wird die Causa Zypern immer komplexer, je mehr Zeit verstreicht. Die Zeit läuft gegen uns. Die deutsche Teilung, die bis zur Wiedervereinigung 40 Jahre andauerte, hat uns allen deutlich gemacht: Man darf nicht aufgeben.
Was wollen Sie?
Die Teilung überwinden. Wir wollen nicht mit der Teilung leben. Dafür brauchen wir die Hilfe der EU und befreundeter Staaten wie Deutschland, um den Starrsinn der anderen Seite zu brechen. Wir sind bereit, die Verhandlungen an jenem Punkt wieder aufzunehmen, die 2017 in Crans-Montana ein sehr fortgeschrittenes Stadium erreicht hatten, um so die erzielten Annäherungen zu bewahren. Die Verhandlungen können nur im vom UN-Sicherheitsrat gesetzten Rahmen erfolgen. Solange sich die andere Seite (die türkisch-zypriotische; Anm. d. Red.) außerhalb dieses Rahmens bewegen will, untergräbt sie automatisch die Bemühungen um eine Lösungsfindung. Es geht hier nicht nur um Zypern. Verlässt jemand diesen Rahmen, wird damit das Ergebnis eines Angriffs, einer illegalen Invasion in ein Land legitimiert. Es würde so ein Präzedenzfall geschaffen, der solche Vorgehensweisen für anderswo bereits geschaffene Zustände im Nachhinein legitimiert und zugleich den Weg für Nachahmer von derartigen Aggressionen in der Zukunft ebnet.
Kolonisierung und Unabhängigkeit
Großbritannien annektiert die zuvor zum Osmanischen Reich gehörende Insel Zypern 1914. Zyperngriechen beginnen 1955 einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit sowie die Vereinigung mit Griechenland. Zypern wird 1960 unabhängig.
Bürgerkrieg und Teilung
Ab Dezember 1963 kommt es zu Unruhen zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken. Offiziere der Zyprischen Nationalgarde putschen am 15. Juli 1974 mit Hilfe der Athener Militärjunta gegen Zyperns Präsidenten Erzbischof Makarios III. Sie wollen den Anschluss Zyperns an Hellas. Die Türkei greift ein: Am 20. Juli 1974 landen türkische Truppen im Inselnorden. Sie besetzen fast 37 Prozent der Inselfläche.
Nord und Süd
Die 1983 ausgerufene „Türkische Republik Nordzypern“ im Nordteil wird nur von der Türkei anerkannt. Sie hat jetzt 350.000 Einwohner. Die international anerkannte Republik Zypern im Inselsüden hat 900.000 Einwohner. Nikosia ist die letzte geteilte Hauptstadt der Welt. (feba)
Sie lehnen die Beibehaltung des Status quo auf der Insel – sprich: der Teilung – ab. Wie soll aus Ihrer Sicht das zukünftige Staatsmodell Zyperns aussehen? Ein Einheitsstaat, ein Staatenbund zweier souveräner Staaten, die Rückkehr zu dem Status quo ante, wie vor 1974? Etwas anderes?
Wir sagen ganz klar: Es soll ein bizonaler, bikommunaler und föderaler Bundesstaat geschaffen werden mit politischer Gleichstellung gemäß den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates. Alles andere bewegt sich außerhalb des durch den UN-Sicherheitsrat verbindlich vorgegebenen Rahmens.
Gibt es für Sie nur diese Option? Die türkischen Zyprioten und Ankara plädieren öffentlich mit Nachdruck für eine Zweistaatenlösung.
Ja, es gibt für uns nur diese Option. Schon dieses Staatsmodell (bizonaler, bikommunaler, föderaler Bundesstaat; Anm. d. Red.) stellt für die griechischen Zyprioten einen schmerzhaften Rückzieher dar. Der Rahmen des UN-Sicherheitsrats kann nicht von irgendeinem Dritten verändert werden. Nur der UN-Sicherheitsrat selber kann dies tun.
Diese Regierungsform als Lösung im Zypernkonflikt ist doch schon einmal gescheitert! Das sah bereits 2004 der sogenannte Annan-Plan vor. Während die türkischen Zyprioten dem Plan in einer Volksabstimmung mit 65 Prozent der Stimmen zustimmten, lehnten ihn die griechischen Zyprioten mit 76 Prozent ab. Wieso halten Sie daran fest?
Nicht das Modell der Regierungsform, also die Formel einer bizonalen und bikommunalen Föderation, ist abgelehnt worden. Es gab unterhalb der Staatsform eine Vielzahl von Regelungen. Wer gegen den Annan-Plan stimmte, tat dies aus jeweils aus verschiedensten Gründen. Nicht das Modell der Regierungsform wurde abgelehnt. Im Referendum ist ein komplexer Sachverhalt auf ein ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ heruntergebrochen, sehr vereinfacht worden. Sie werden sich nun fragen: ‚Warum bestehen Sie auf eine Neuaufnahme der Verhandlungen?‘
Genau.
Weil wir nicht untätig bleiben können. Und dies, obgleich die andere Seite auf eine Zweistaatenlösung pocht. Die Frage ist, wie ist die andere Seite dazu zu bewegen, in den vom UN-Sicherheitsrat gesetzten Rahmen zurückzukehren. Das hängt nicht von uns ab. Allerdings hat der UN-Generalsekretär in diesen international bewegen Zeiten mit großen Konflikten das Thema Zypern erneut auf seine Agenda gesetzt und entfaltet Aktivitäten. Wir sehen darin ein Fenster.
Wie sehen Sie die Rolle Zyperns an der konfliktgeladenen Nahtstelle zwischen Orient und Okzident?
Wir sehen uns als nützliche Brücke. In Krisen, aber nicht nur. Beispiel: Wir haben Evakuierungen von Bürgern aus Drittstaaten verwirklicht, wie im Fall des Sudans oder dem Libanon. Wir pflegen ausgezeichnete Beziehungen zu unseren Nachbarn Israel, Ägypten und Jordanien. Bereits 1988 haben wir Palästina anerkannt. Wir starten zudem eine strategische Kooperation mit den USA. Sie beruht auf sechs Grundpfeilern, darunter in den Bereichen Bildung, Forschung und Technologie. Das ist keine militärische Kooperation, wir sind zudem nicht Mitglied der Nato. Nach dem 7. Oktober hat unser Staatspräsident Nikos Christodoulidis der internationalen Gemeinschaft nach großen Bemühungen die Option eines humanitären Seekorridors zur Lieferung von Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung in Gaza eröffnet. Anfangs waren wir mit dem Vorschlag alleine auf weiter Flur. Man sagte uns: ‚Liebe Zyprer, das funktioniert nicht.‘ Wir haben unbeirrt daran festgehalten – und das geschafft. Das ist keine kleine Sache.
Ende voriger Woche ist das US-Schiff „Cape Trinity“ mit Hilfsgütern von Larnaka aus zum israelischen Hafen Ashdod losgefahren, obgleich eine von den USA gebaute, am 16. Mai in Betrieb gegangene temporäre Landungsbrücke vor der Küste Gazas derweil wetterbedingt zerstört ist. Bleibt der Seekorridor bestehen?
Wir sagen: Ja, es kann weitergehen. Den Seekorridor von Larnaka aus gab es bereits vor dem Bau des Piers vor der Küste Gazas. Das ist die Rolle Zyperns: Wir wollen die Rolle der EU in der Region stärken. Für uns ist der Zypernkonflikt eine Existenzfrage. Wir sehen uns indes nicht als ein monothematisches Problem, sondern sind Teil der Lösung der Probleme in der Region. Wir sind als EU-Außenposten ein Stabilitätsanker.
Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah hat im Juni erstmals Zypern gedroht. Wie Nasrallah sagte, könnte die Hisbollah Zypern „als in den Krieg verwickelt betrachten“, falls es Israel erlauben werde, seine Flughäfen und Stützpunkte für Angriffe gegen den Libanon zu nutzen. Wie sehen Sie das?
Das entbehrt jeglicher Grundlage. Wir sind 40.000 türkischen Soldaten im besetzten Inselnorden in Angriffsstellung gegen uns ausgesetzt. Das ist schon genug. Wir haben zu keinem Zeitpunkt offensive operative militärische Einsätze von unserem Staatsgebiet gegen irgendein Land in der Region zugelassen, und wir werden das niemals tun. Schon seit Jahren und mit sehr vielen Partnern führt unsere Nationalgarde militärische Übungen auf unserem Staatsgebiet durch. Mit operativen Einsätzen gegen irgendein Land hat das aber nicht das Geringste zu tun. Speziell mit dem Libanon pflegen wir seit Jahrzehnten engste und freundschaftliche Beziehungen.
Was ist mit den zwei britischen Militärbasen auf Zypern? Die Briten fliegen von dort aus Angriffe auf die Huthi-Rebellen im Jemen.
Darauf haben wir keinen Einfluss. Deswegen darf Zypern nicht zur Zielscheibe werden.
Thema Migration: Zypern hat gemessen an seiner Bevölkerung die meisten Schutzsuchenden in der EU. Wie sieht die Situation aktuell aus?
In den letzten 15, 16 Monaten sind weniger Neuankömmlinge über die Türkei und den Inselnorden zu uns gekommen, dafür kommen mehr auf dem Seeweg maßgeblich über den Libanon. Das ist nur mit der EU zu bewältigen. Wir danken der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat das Problem erkannt. Sie ist mit unserem Staatspräsidenten Christodoulidis in den Libanon gereist, wir haben in kurzer Zeit den EU-Libanon-Flüchtlingsdeal auf den Weg gebracht. Die EU muss das Übel an der Wurzel packen. Es ist falsch zu glauben, dass Zypern weit von Brüssel weg ist und dies das übrige Europa nicht betrifft.
Hat Nikosia von der Leyen bei ihrer Wiederwahl unterstützt?
Das haben wir. Namentlich unser Präsident. Frau von der Leyen hat bei einer Reihe von Themen eine Effizienz an den Tag gelegt. Dafür bekunden wir unsere Genugtuung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär