Zwischenbilanz des UN-Klimagipfels: Vielleicht ist ein bisschen Chaos gar nicht schlecht
Die UN-Klimakonferenz läuft anders als erwartet wegen einer überraschenden Idee und indigener Proteste. Die Verhandlungen brachte das durcheinander.
Chaos auf einer UN-Klimakonferenz ist normalerweise kein gutes Zeichen. Und tatsächlich setzen überlaufende Toiletten, bitterkalte Verhandlungsräume und durch die Decken sickender Tropenregen den Verhandler*innen in Belém zu. Aber Chaos kann auch Dinge ins Rollen bringen, mit denen vorher niemand gerechnet hat.
Diese Art Chaos wurde in Belém zweimal verursacht: von Brasiliens Präsident Lula da Silva und von den Indigenen Amazoniens. Beide haben dafür gesorgt, dass die erste von zwei Verhandlungswochen anders verlief als von vielen erwartet
Lula forderte in seiner Eröffnungsrede einen Fahrplan, wie der Ausstieg aus den Fossilen gelingen kann, und hat damit „einen Stein ins Wasser geworfen“, sagt Jochen Flasbarth, Leiter der deutschen Delegation. Kolumbien schloss sich der Forderung genauso an wie Kenia. Auch die EU signalisierte Unterstützung, hält sich aber im Hintergrund. „Es ist interessant, dass die Initiative aus dem Globalen Süden kam“, sagt Flasbarth. Er wolle den Eindruck vermeiden, nur der Globale Norden treibe den Fahrplan voran. "Wir wollen, dass es ein verbindendes Element ist."
„Fahrplan“ bedeutet nicht, dass am Ende der Verhandlungen ein Ausstiegsdatum für Kohle, Öl und Gas steht. „Ein großer Erfolg wäre es, wenn sich alle auf einen Prozess einigen, in zwei Jahren einen Fahrplan zum Ausstieg vorzulegen“, sagt Kerstin Opfer von der NGO Germanwatch. Auch das wäre schon eine „kaum zu glaubende Erfolgsmeldung“, sagt der politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals. Vor allem wäre es ein Signal: Die USA mögen weiter auf Fossile setzen, der Rest der Welt schreibt sie ab.
Klima-Anpassung noch umstritten
Der Fahrplan wird aber bei Weitem noch nicht von allen Ländern unterstützt. Die arabischen Länder – traditionell fossil und dementsprechend bremsend unterwegs – seien nicht an Bord, aber auch die Allianz kleiner Inselstaaten und die Lateinamerikaner*innen fehlten noch, sagt Opfer. „Für ihre Unterstützung braucht es Fortschritte bei der Anpassungs-Agenda und bei der Finanzierung.“
Wäre Lula nicht mit seinem Fahrplan-Stein zur Eröffnungsrede gekommen, wären die Verhandlungen um die Indikatoren für Klima-Anpassung das unangefochtene Thema Nummer eins bei den UN-Verhandlungen gewesen. Im Kern geht es darum, wie Anpassung an die Erderhitzung gemessen werden soll, um Fortschritt und Mangel sichtbar zu machen. Und es geht darum, wie die nötigen Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden sollen - also ums Geld.
"Die EU möchte kein Finanzierungsziel in die Indikatoren aufnehmen, aber es geht trotzdem in diese Richtung", sagt Laura Schäfer von Germanwatch. Im Raum stünden 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2035 - das wäre die Hälfte der im vergangenen Jahr für diesen Zeitpunkt versprochenen Klimafinanzierung.
Kurz vor der Einigung stehen die Verhandler*innen aber keinesfalls: Die Afrikanischen Staaten haben zum Beispiel vorgeschlagen, doch lieber ein zweijähriges Arbeitsprogramm zu verabschieden als konkrete Indikatoren.
Proteste sorgten für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen
Insgesamt verliefen die Verhandlungen ohne "große aufgeregte Besonderheiten", fasst Flasbarth zusammen, die Konferenz sei "geräuschlos gestartet". Für die Verhandlungen selbst mag das stimmen, aber geräuschlos war es spätestens seit Dienstagabend nicht mehr, als sich eine Gruppe studentischer und indigener Aktivist*innen Zugang zur Vorhalle verschaffte und lautstark nach dem Stopp von Probe-Ölbohrungen im Amazonasbecken verlangte, die Präsident Lula genehmigt hatte.
Eine andere Gruppe Indigener vom Volk der Munduruku versperrte am Donnerstag den Zugang zum Eingang und sorgte für lange Schlangen vor dem provisorisch errichteten Alternativzugang. Sie waren am Mittwoch zum "Gipfel der Völker" nach Belém gekommen und forderten von Lula, Infrastruktur-Projekte im Amazonas-Regenwald abbricht, die ihr Land bedrohen. Insbesondere wollen sie den Ausbau von Wasserstraßen und Häfen verhindern, die "unsere Art zu leben zerstören, weil sie den Fluss in einen Soja-Highway verwandeln", teilte einer der Anführer der Protestbewegung mit.
Die Folgen dieser Art Chaos lassen sich weit schwerer abschätzen. UN-Klimachef Simon Stiell schickte schon vor der Blockade der Indigenen einen ungewöhnlich scharf formulierten Brief an die brasilianische Konferenzleitung, in der er die Brasilianer*innen zu besseren Sicherheitsmaßnahmen aufforderte - obwohl seit dem Protest am Dienstag bewaffnete Soldat*innen rund um die Konferenz postiert sind.
Konferenzdirektorin Ana Toni tat die Aktionen jedenfalls ab: "Zum Glück ist Brasilien eine Demokratie, in der Menschen auf verschiedene Weisen demonstrieren können. Wir sollten das begrüßen."
Sorgen um ungehinderte Einflussnahme der Indigenen in Folge der Proteste müssen sich die Bremserstaaten aber nicht machen: Einer Analyse der Initiative "Kick Big Polluters Out" zufolge sind 1600 fossile Lobbyist*innen zur Konferenz angereist. Das sind etwa 50-mal mehr als die Zahl der philippinischen Delegierten, deren Heimatland gerade erst von Taifun Fung-wong getroffen wurde. Der Sturm wurde durch die Erderhitzung 42 Prozent zerstörerischer, wie eine Schnellstudie zeigt.
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