Zwischenbilanz Festival CTM Berlin: Bassentitäten und Kettenfahrzeuge

Beim Festival CTM in Berlin hallt das Motto „Persistence“ – Beharren – in vielen Konzerten, Kunstwerken und Klanginstallationen nach.

Eine angestrahlte Raupe auf einer Bühne

„Mantis“, Klanginstallation von Nik Nowak im Berliner Berghain Foto: Camilla Blake

Die prägnanteste Installation beim diesjährigen Festival CTM in Berlin ist im Kreuzberger Kunstraum Bethanien zu sehen. Basslautsprecher sind dort zu einem Kreis drapiert; vor jedem brennt eine Kerze, was dem Ensemble eine sakrale Anmutung verleiht, selbst hier in einer Gruppenausstellung zwischen Kabelsalat, silbriger Luftpolsterfolie und Monitoren. Dumpfe Klänge strömen aus den Boxen. Man kann sie kaum hören, sehen aber sehr wohl, denn sie setzen die Flammen der Kerzen in Bewegung. Sie vibrieren im Rhythmus, flackern und leuchten beharrlich weiter. Beharrlichkeit ist schließlich das Thema der CTM 2019, „Persistence“ lautet ihr Motto.

Vivian Caccuri, die brasilianische Künstlerin, von der die Arbeit „Oratório“ stammt, geht es jedoch um mehr. Sie betrachtet den Bass als eine Entität, die Menschen körperlich erfasst, in Bewegung versetzt und auf diese Weise temporäre Gemeinschaften stiftet. Beim Tanzen im Club etwa. Die Musik, die ­Caccuri verwendet, ist dafür allerdings gar nicht gedacht.

Im Gegenteil. Es handelt sich um eines der ältesten Musikstücke der Menschheit, den ambrosianischen Lobgesang „Aeterne rerum conditor“, ein Stück aus einer Zeit, als Tanzen für Christen untersagt war, stattdessen die menschliche Stimme jene gemeinschaftsstiftende Funktion übernahm. Caccuri ist nicht die Einzige, die zumindest über einen Umweg auf die Kraft des Gesangs verweist: Linn da Quebrada mit ihren Eröffnungskonzerten im HAU 1 könnte man da nennen, die Südafrikanerin Sho Madjozi, die in der Griessmühle auftrat, oder, weniger explizit, dafür geradezu magisch die beiden Sami-Sängerinnen Maja S. K. Ratkje und Katarina ­Barruk. Mit „Avant Joik“ brachten die beiden Künstlerinnen am Sonntag im HAU 2 eine zeitgenössische Interpretation des traditionellen Joik auf die Bühne.

Lieder von Schamanen

Sie ist kaum beschreibbar, umso intensiver und berührender, gerade weil man – wenn man nicht gerade selbst der Sami-Minderheit angehört – die Texte der einst schamanistischen Lieder gar nicht verstehen kann und man sich zwangsläufig aufs sinnliche Lauschen beschränkt. Um Texte geht es im Joik ohnehin nicht, vielmehr um den kehligen Gesang als solchen, den Maja S. K. Ratkje mit ­Geräuschen begleitete, die sie dem Synthesizer oder in unglaublichen Variationen ihrer Stimme entlockte. Klänge, die mal an den Wind, mal an rauschende Wälder, Flüsse oder Tierstimmen erinnerten. Wie Caccuris Kerzen taugt auch der Joik zum Symbol für das Festivalmotto, er überlebte Jahrhunderte der Unterdrückung der Sami, ebenso wie die umesamische Sprache, zu deren rund 20 verbliebenen Sprecher*innen Katarina ­Barruk zählt.

Die Idee, Singen als eine Form von Widerstand zu begreifen, verbindet die beiden wiederum mit dem US-Künstler Colin Self, der am Mittwoch im HAU 1 seine Vorstellung von einer queeren, solidarischen Gemeinschaft in einer irren Show mit Streichern, Chor und Tänzer*innen zelebrierte. Sein Auftritt war jenseits von Perfektion, dafür nah am Kitsch und mit DIY-Attitüde. Self würde es selbst eher als Do-it-together bezeichnen. Gemeinschaftsstiftung fand bei ihm vor allem auf der Bühne statt. Dass es sich bei den Sänger*innen und Tänzer*innen offenbar um Laien handelte, war Teil seines Konzepts. Mitreißend war das, sobald man sich darauf einließ.

Das CTM-Programm setzt größtmögliche Offenheit voraus, nur dann lassen sich Analogien erkennen

So ist es ja stets bei der CTM, dass sie größtmögliche Offenheit voraussetzt, weil man nur dann tatsächlich Analogien erkennen kann zwischen Sami-Gesang, queerem Falsett, pulsierenden Clubbeats und mechanischem Trommeln. Nur dann kann es passieren, dass man sich staunend vor fünf weißen Leuchttischen in den Räumen des Kreuzberger Kunstvereins ngbk wiederfindet, die aufgestellt vom Label Raster Noton nacheinander zu dröhnen und zu klingen beginnen. Dass man sich dort auch diebisch an der zappelnden Spieluhr-Ballerina auf Dasha Rushas Tisch freut und daran, wie der Berliner Robert Lippok Klöppel auf Keramik schlagen und weiches Holz rascheln lässt.

Höllischer Lärm

Was ist das überhaupt: Sound? Und was löst Klang aus? Der Künstler Nik Nowak gibt darauf mit seinen Soundskulpturen in der Halle am Berghain die wohl massivste aller Antworten. Es sind zwei archaisch-furchterregende ­Rieseninsekten, die höllischen Lärm ausstoßen. „The Mantis“ hat der Berliner seine Installation genannt, wie die Mantis religiosa, besser bekannt als Europäische Gottesanbeterin. Nowaks neuestes monumentales Kettenfahrzeug, bei dem der Sound von oben nach unten abstrahlt, so wie einst während des Lautsprecherkriegs an der Berliner Mauer die Kranfahrzeuge der SaS, der „Studios am Stacheldraht“, stehen seinen regelmäßigen CTM-Besucher*innen bereits bekannte Sound-Panzer gegenüber.

Im Hintergrund läuft eine Videoarbeit von Moritz Stumm, in der Aufnahmen von Aufständen in solche von marschierenden Soldaten, in Propagandabilder und abstrakte Visuals übergehen, dazu ertönen Samples vom SaS wie von den Unruhen in London im Jahr 2012 und aus vielerlei Störgeräusche zusammengefügte Kompositionen. Hören und Sehen vergeht einem, bis gegen Ende Pink Noise in das Geräusch fallenden Regens mündet. Angenehm? Ja, aber ebenso suggestiv und alles in allem absolut überwältigend. Beharrlich müssen alle sein, die davon mehr wollen: Auch die Liveperformance am heutigen Freitag ist ausverkauft.

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