Zwischen Kneipe und Fernsehbühne: Kleine Pfeile, große Party
Darts ist beliebter Kneipensport und füllt auf Profiebene gleichzeitig Riesenhallen. Ein Blick auf zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Wenn am 21. März weit über 10.000 Menschen in der Mercedes-Benz Arena frenetisch zehn Männer feiern, die mehrheitlich leicht übergewichtig, nur noch mit lichtem Haarwuchs gesegnet und mit nichts anderem beschäftigt sind, als den ganzen Abend lang auf einer Bühne dieselbe Armbewegung durchzuführen –, dann muss es Darts sein.
Die zehn bejubelten Männer sind zehn der besten Dartsspieler der Welt. Und dass sie mit ihren Wettbewerben quer durch die Welt reisen und überall auf begeisterte Fans stoßen, war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Die Premier League ist eines der wichtigsten Ereignisse im Dartskalender. An 16 Spieltagen touren die Profis durch Westeuropa, Berlin ist die einzige Station in Deutschland.
Der ursprüngliche Kneipensport ist zum Massenphänomen gereift, und das kommt nicht nur in seinen Zuschauerzahlen und den enormen Preisgeldern (bei der Premier League werden knapp 900.000 Pfund ausgezahlt, bei der jährlichen Weltmeisterschaft rund 2,5 Millionen – Tendenz steigend) zum Ausdruck. Auch im Amateurbereich wächst Darts aus seinem Dasein als Nischensport heraus.
In Berlin organisieren sich die Spieler*innen seit fast 30 Jahren im Dartsverband Berlin-Brandenburg (DVBB), und ihre Zahl wächst (siehe Kasten). Der Verband organisiert mehrere Ligabetriebe und regelmäßige Ranglistenturniere für seine Mitglieder. Die besten Vereine des Verbandes können in der Bundesliga spielen. Dafür trainieren die Spieler*innen regelmäßig, teils in eigenen Vereinslokalen, teils noch immer in den Kneipen, in denen sie zu spielen begonnen haben, erklärt Verbandspräsident Klaus Marquardt, der den DVBB 1990 mitbegründete.
Schrille Typen vor grölendem Publikum
Joachim Kotzmann ist Mitglied der ersten Stunde und er darf den Spielerpass Nummer 1 sein eigen nennen. Er erzählt der taz, wie der Dartssport nach Deutschland kam: als kultureller Austausch. Bei einer Reise nach England habe er gemerkt, dass sich über den Sport viel besser als mit wenigen Sätzen auf Englisch Kontakt zu den Menschen knüpfen ließ. Seine Begeisterung fürs Pfeilewerfen importierte Kotzmann nach Berlin, als er in den achtziger Jahren in die Stadt zog. Die Dartsszene sei damals wie eine Familie gewesen, erinnert er sich. „Jockel“, wie ihn seine Mitspieler*innen nennen, wurde schließlich erster Präsident des DVBB und ist bis heute aktiv.
Jene, die ihren Sport an die Massen herangeführt haben, beenden ihre Karrieren hingegen zurzeit. Der übermenschliche Phil Taylor, 16-maliger Weltmeister aus England, hat seine Karriere 2018 beendet, sein ewiger Konkurrent Raymond van Barneveld lässt sie in diesem Jahr ausklingen. Die alten Legenden können mit den immer schneller und immer präziser werfenden Nachwuchsspielern nicht mehr mithalten.
Das Spiel Der Sport mit den kleinen Pfeilen, die auf eine Scheibe geworfen werden, entstand im 19. Jahrhundert in England. Lange fristete die Sportart ein Nischendasein. Ziel beim gängigen Dartsspiel ist es, mit seinen Pfeilen Punkte zu erzielen und so von 501 auf null Punkte herunterzuspielen. Daneben gibt es viele weitere Varianten.
Die Spieler Während die besten Spieler in internationalen Verbänden wie der British Darts Organisation (BDO) oder Professional Darts Corporation (PDC) organisiert sind, spielen die Amateure in Regional- und Landesverbänden wie dem Dartsverband Berlin-Brandenburg (DVBB). Ihre Spielorte sind vielfach weiterhin Kneipen. Der DVBB wurde 1990 gegründet und hat mittlerweile über 500 Mitglieder in 19 Vereinen, die meisten davon aus Berlin.
Die Premier League findet am Donnerstag, 21. März, ab 20 Uhr in der Mercedes-Benz Arena statt. Karten gibt’s ab 59 Euro. (taz)
Ihre Nachfolger sind von Anfang an Profis – zumeist männliche, auch wenn Darts keine strikt geschlechtergetrennte Sportart ist –, die ihre Profession zelebrieren. Und sie sind außergewöhnliche Typen: Da ist etwa der Schotte Peter Wright, privat ein sehr introvertierter Mensch, der sich auf der Bühne in den tanzenden Peter „Snakebite“ Wright verwandelt, mit kreischend bunten Klamotten und ebenso kreischend bunter Irokesenfrisur. Da ist der ehemalige walisische Rugbyspieler Gerwyn Price (einer der wenigen ohne Bäuchlein), und da ist natürlich der alle überragende Nachfolger Phil Taylors, der Niederländer Michael van Gerwen.
Jeder Spieler hat seine eigenen Fangesänge, die vom fröhlich Alkohol konsumierenden Publikum mit großem Enthusiasmus gegrölt werden – die Spieler*innen auf der Bühne trinken längst nur noch Wasser. Darts ist zu einem gewaltigen Ereignis geworden, bei dem es neben spektakulären Punktezahlen und idealerweise dem einen oder anderen Neundarter – dem perfekten Spiel, bei dem der Spieler 501 Punkte mit neun Würfen auf null herunterspielt – vor allem um eines geht: um Party. Die Zuschauer*innen verkleiden sich, sie singen, trinken und haben Spaß – kurzum: sie feiern.
Professionelle Vermarktung und die Sache mit dem Alkohol
Joachim Kotzmann sieht den Event-Charakter der großen Turniere zwiespältig. Einerseits führe die Professionalisierung zu unglaublichen Leistungen – andererseits sei es schade, dass der Dartssport für Teile des Publikums zum Nebenprogramm einer großen Party verkomme: „Viele Leute im Publikum wissen gar nicht richtig, was Darts ist. Sie gehen hin, um zu feiern, ohne die Leistungen der Spieler würdigen zu können.“ Bei der Premier League gehe es zu wie beim Karneval, findet Klaus Marquardt.
Die Selbstinszenierung der Profis sieht Kotzmann als notwendiges Übel. „Das ist Geschäft“, sagt er lakonisch über das Wetteifern der Spieler*innen um die Anhängerschaft. Die Stars verstehen Darts mittlerweile als Beruf, und um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, müssen sie sich vermarkten. „Das hat mit dem Sport nichts zu tun, gehört aber bei den Profis dazu“, findet Kotzmann. Bei den Amateuren sehe man die Sache noch wesentlich entspannter. Man treffe sich nicht nur zum sportlichen Wettkampf, sondern auch für das Gemeinschaftserlebnis. Rauchen und erhöhter Alkoholkonsum sind indes auch für die Amateure längst unvereinbar mit ihrem Sport.
Anders als bei den Profis spielen hier auch viele Frauen mit. Und nicht nur das: In den Amateurligen bringen sie es zu so manchem Erfolg. Die Berlinerin Sabine Shanahan ist so Schatzmeisterin des Dartsweltverbandes WDF geworden, Annegret Willkomm ist Mitglied der deutschen Amateur-Nationalmannschaft. Dass Frauen selten zu den Profis aufsteigen, liegt für Kotzmann am hohen Aufwand, der mit dem Schritt zum Profisport verbunden ist. Frauen seien seltener dazu bereit, jede Woche zu Turnieren anzureisen und letztlich alles andere der Dartskarriere unterzuordnen.
Derweil schickt sich der Sport mit den kleinen Pfeilen an, auch noch den Rest der Welt zu erobern. Außer in Großbritannien entschließen sich zunehmend auch in Mitteleuropa, Ostasien oder Australien Spieler*innen, mit Darts ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weltweit werden Turniere im Fernsehen übertragen, und auf Pressekonferenzen umdrängen die Journalist*innen die Profis.
Zwei Parallelwelten, die nicht ohne einander können
Von einer solchen medialen Aufmerksamkeit sind die Aktiven im DVBB und in den zugehörigen Vereinen weit entfernt. Doch sie arbeiteten daran, ihre Strukturen weiter zu professionalisieren, sagt Joachim Kotzmann. Wer wolle, könne mittlerweile an vielen Orten Darts spielen. Im vergangenen Jahr seien wieder zwei Vereine hinzugekommen. Kotzmann geht davon aus, dass der Verband in den kommenden Jahren weiter wachsen wird.
Der Zugang ist einfach: Wer im Verein Darts werfen will, müsse nur auf der Website des Verbands das nächstgelegene Vereinslokal heraussuchen und zum wöchentlichen Training kommen, betont Präsident Marquardt. Um sich für die Zukunft aufzustellen, suchen die Aktiven nach geeigneten Räumlichkeiten für den Verband. Kotzmann befindet: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Dass die Premier League nach Berlin kommt, ist in den Vereinen kaum ein Thema. „Ich wäre hingegangen, wenn es terminlich gepasst hätte“, sagt Kotzmann, „aber ich weiß auch, dass ich da nichts versäume.“ Vielleicht wäre er sogar ein wenig enttäuscht gewesen, wenn er hätte miterleben müssen, dass sein Sport auf der großen Bühne nur noch den Rahmen für eine große Party bietet.
Ein Deutscher wird in Berlin auch auf der Bühne sein, aber nur für einen Spieltag und weil der „Flying Scotsman“ Gary Anderson verletzungsbedingt absagen musste: Max Hopp wird als deutsche Dartshoffnung für die nächsten Jahre gehandelt, und weitere Spieler drängen nach – auch aus dem DVBB. Martin Schindler hat seine ersten Schritte im Verband gemacht, mittlerweile spielt er auf den großen Bühnen der Welt. So unterschiedlich die Welten der Amateure und der Profis sind – ohne die einen gäbe es die anderen nicht.
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