Zweite Staffel „House of the Dragon“: Feministische Fantasy
Auch in der zweiten Staffel von „House of the Dragon“ stehen die Frauen im Mittelpunkt – und ihre Strategien, im übelsten Patriarchat zu bestehen.
„Ihr seid viel weiser, als ich geglaubt habe. Und dennoch stellt ihr euch weiterhin in den Dienst von Männern, eurem Vater, eurem Gemahl, eurem Sohn. Ihr sehnt euch nicht nach Freiheit, sondern nach einem Fenster in der Mauer eures Gefängnisses.“
Es sind die bislang wohl denkwürdigsten Dialogzeilen in „House of the Dragon“, der Erzählung von dem Niedergang des Hauses Targaryen, angesiedelt etwa 200 Jahre vor den Ereignissen in „Game of Thrones“. Sie bringen nicht nur zum Ausdruck, wie entschieden sich das Prequel zur Erfolgsserie mit weiblichen Perspektiven auseinandersetzt, sondern auch, wie weit die verwendeten Metaphern über die fiktive mittelalterliche Fantasywelt von Westeros hinausweisen – und einen Widerstreit auf den Punkt bringen, der viel mit der unsrigen, der realen Welt zu tun hat.
Gesprochen werden sie von Rhaenys Velaryon (Eve Best), die den klingenden Beinamen „die Königin, die niemals war“ trägt, seit sie einst aus einer Abstimmung unter allen Lords der Sieben Königslande über das Erbe des umkämpften „Eisernen Throns“ gegenüber ihrem männlichen Mitbewerber Viserys I. (Paddy Considine) als Verliererin hervorging – trotz ihres größeren Anspruches, und der besseren charakterlichen Eignung zur Anführerin.
Adressatin ihrer Worte ist wiederum Alicent Hohenturm (Olivia Cooke), die „Nochkönigin“ des Reiches, die diesen Status nur durch eine forcierte Heirat mit besagtem Viserys erlangte. Nach dessen Tod versucht sie, ihren leiblichen Sohn Aegon II. (Tom Glynn-Carney) als Thronfolger zu installieren. Wider den Wunsch des Königs, der eigentlich seine Tochter Rhaenyra Targaryen (Emma D’Arcy), gezeugt mit dessen ersten Ehefrau, zur rechtmäßigen Erbin ernannte.
Bestenfalls verdeckter Einfluss
Was ihr Gespräch widerspiegelt, sind unterschiedliche Strategien, mit einem männlich geprägten Machtsystem umzugehen. Während Rhaenys für den Versuch steht, sich offen den patriarchalen Spielregeln zu widersetzen, repräsentiert Alicent ihre Verinnerlichung. Im Glauben an ihre Unabänderlichkeit beschränkt sie sich in vorauseilendem Gehorsam auf einen bestenfalls verdeckten Einfluss. Den als Ehefrau, Mutter und Tochter auf die herrschenden Männer – und trägt so letztlich zur Reproduktion der Verhältnisse bei.
Es ist regelrecht erstaunlich, wie wenig „House of the Dragon“ bislang als feministische Fantasyserie zelebriert wird. Denn schon vor dieser pointierten Gegenüberstellung gegen Ende der ersten Staffel durchziehen geschlechterspezifische Diskurse den Plot. Frauen und ihre jeweiligen Machtansprüche, die Strukturen, die sie davon abhalten, sie zu verwirklichen, und vor allem besagte Formen, mit ihnen umzugehen, sind geradezu das zentrale Thema der Handlung.
Mehr noch als es schon in „Game of Thrones“ der Fall war, das zwar für seine Darstellung von viel nackter Haut und sexueller Gewalt an Frauen kritisiert wurde, gleichsam aber weibliche Figuren als taktierende Figuren in ihren positiven wie negativen Facetten ernster nahm, als es viele Vertreter des Genres zuvor taten. Nun, in „House of the Dragon“, ist selbst der Umgang mit Sexualität ein anderer. Ohne bei ihrer Inszenierung in eine falsche Biederkeit zu verfallen, dienen freizügige Szenen nun stärker einem erzählerischen Zweck, anstatt sich bloß als effektvoller Schauwert einen Platz in der Spielzeit zu verdienen.
In den ersten Folgen etwa gibt es eine scharfsinnige Montage, die bedeutend zum Verständnis des später angespannten Verhältnisses zwischen den damals noch freundschaftlich verbundenen jungen Protagonistinnen Alicent und Rhaenyra beiträgt: Erstere wird als neue Gemahlin in die Gemächer des Königs Viserys gerufen, der nach dem Tod seiner ersten Ehefrau auf Gedeih und Verderb einen männlichen Nachfolger zeugen will. Während des Aktes konzentriert sich die Kamera auf ihre abgeklärte Miene, ihre reglosen Hände.
Sex als stumpfe Pflicht
Den Einstellungen, aus denen spricht, dass Alicent sich schlicht einer stumpfen „Pflicht“ hingibt, werden Szenen von der ebenfalls jugendlichen Rhaenyra gegenübergestellt, die von einem Streifzug an der Seite ihres herrschsüchtigen Onkels Daemon (Matt Smith) durch die Stadt heimkehrt und nach dessen abrupt unterbrochenen Annäherungsversuch entschlossen ein Mitglied der Königsgarde (Fabien Frankel) verführt.
Thematisiert wird so nicht nur, dass beide Frauen von jungen Jahren an von Männern umgeben sind, die sie als Spielball zum Erreichen ihrer eigenen Ziele, Wünsche und Sehnsüchte verwenden wollen. Sondern auch, wie unterschiedlich ihre Antworten auf diese Versuche ausfallen. Während Alicent immer mehr in tradierte Rollenmuster verfällt, in religiösen Tugenden wie Frömmigkeit und Keuschheit Trost findet, nimmt sich Rhaenyra von Anfang an Freiheiten heraus. Mit ihrem späteren Ehemann (John Macmillan) trifft sie eine Abmachung, die es beiden erlaubt, mit anderen Männern zu schlafen. Sie bringt uneheliche Kinder zur Welt und wird damit auch immer mehr zur Zielscheibe von Alicents Missgunst, die eine ähnliche Freiheit zur Freiheit niemals hatte, sie sich auch niemals nahm.
Dass Alicent letztlich versucht, Rhaenyra den Thron abspenstig zu machen, hat allerdings auch mit Angst zu tun; heraufbeschworen durch den machthungrigen Vater (Rhys Ifans), der sie davon überzeugt, dass ihre ehemalige Kindheitsfreundin womöglich gezwungen sein könnte, Alicents Familie zu töten, um ihren eigenen Machtanspruch zu festigen. Denn in diesem Wissen immerhin ist man sich in Westeros einig: Die Meisten würden das Reich lieber untergehen lassen, als es von einer Frau regiert zu sehen.
So spielt „House of the Dragon“ einen tückischen Mechanismus durch, wie er sich auch abseits von Westeros oft ereignet: Unter dem Eindruck, sich in einem männlich dominierten System behaupten zu müssen, kämpfen Frauen eher für sich allein als zusammen, geraten sogar eher in Konkurrenz zueinander, anstatt sich gegenseitig zu unterstützen und tatsächlich etwas an den Machtstrukturen zu ändern.
In der ebenfalls auf einer Buchvorlage von George R. R. Martin („Feuer & Blut“) basierenden Serie hat allerdings auch weibliche Solidarität einen bedeutenden Platz: Rhaenys, die ihre eigenen Erfahrungen als geschasste Thronerbin nicht vergessen hat, schlägt sich trotz allem Trennenden auf die Seite von Rhaenyra, die ihren Herrschaftsanspruch verteidigen will.
Wenngleich das Finale der ersten Staffel durchaus befürchten ließ, dass die Erzählung in klischeehafte Vorstellungen von weiblicher Hysterie abdriftet, zeigen die vier vorab zur Sichtung verfügbaren neuen Folgen eine andere Richtung: Während die Männer auf das Schlachtfeld drängen, sind es die Frauen, allen voran Rhaenyra, die die Sieben Königslande vor einem großen Krieg bewahren wollen und stattdessen auf diplomatische Bemühungen setzen.
Dass damit die weiblichen Figuren von ihrer individuellen Verantwortung entbunden würden und reizloserweise zu den unangefochtenen Guten im Kampf um den „Eisernen Thron“ erhoben würden, heißt das jedoch nicht. Ebenso wenig, dass die Männer pauschal als das blanke Böse porträtiert werden: Männer würden dazu erzogen, Blut und Ruhm zu suchen, heißt es in der bislang spannendsten Szene der so weit fantastischen Fortsetzung.
Damit findet „House of Dragon“ zu einer Stärke zurück, die „Game of Thrones“ in den letzten Staffeln vermissen ließ: Am interessantesten ist die Erzählung dann, wenn sie die Beweggründe der handelnden Figuren nachvollziehbar macht, mögen diese nun gut oder schlecht sein. Und was der Tragik den Weg bereitet, mehr noch als individuelle Gier, Neid und Zorn, sind – hier wie dort – vor allem mächtige Gewissheiten, schädliche Traditionen und eingefahrene Strukturen, die unhinterfragt bleiben. Von den Männern, ebenso wie von den Frauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste