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Zwei vorbei„Wir können nicht zaubern“

Seit Juli 2015 ist Carsten Sieling (SPD) Bremens Bürgermeister.Im Interview erklärt er, wie er sein Amt in zwei Jahren verteidigen will – trotz sinkender Umfragewerte

Das Staatsschiff Bremen durch schwierige Zeit gesteuert: Havarierte Kogge Roland von Bremen Foto: Ingo Wagner (dpa)
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Sieling, beneiden Sie diejenigen, die ab 2019 Bremen regieren?

Carsten Sieling: Nein, ich beneide mich doch nicht selbst! Ich freue mich darauf.

Woraus ziehen Sie die Zuversicht, gewählt zu werden?

Daraus, dass wir als rot-grüne Regierung das Staatsschiff Bremen durch diese schwierige Zeit ganz gut gesteuert haben. Gerade im Laufe des vergangenen Jahres haben wir gute Perspektiven entwickelt und bei den Bund-Länder-Finanzverhandlungen für die Zeit ab 2020 eine sehr gute Grundlage gelegt.

Im Interview: Carsten Sieling

58, SPD, Bürgermeister von Bremen und Präsident des Senats. Der Finanzpolitiker, der bei Rudolf Hickel promoviert hat, folgte 2015 auf Jens Böhrnsen (SPD), der als Spitzenkandidat nach der Landtagswahl am 10. Mai in den Sack gehauen hatte. Zuvor war Sieling als Bundestagsabgeordneter Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion.

Foto: Ingo Wagner/dpa

Bis der Erfolg sichtbar wird, kostet die Konsolidierung Stimmen.

Die Umfragen gingen zuletzt etwas zurück. Aber bis zur Wahl 2019 fließt noch viel Wasser die Weser hinunter. Entscheidend ist für mich, dass wir die Herkules-Aufgaben, die den Leuten unter den Nägeln brennen, in den letzten beiden Jahren in den Griff bekommen haben, beziehungsweise mit Hochdruck bearbeiten. Es gibt nicht mehr die langen Schlangen vor dem Stadtamt, und die jüngsten Zahlen zeigen, dass im Sommer nicht wieder Hunderte Kindergartenplätze fehlen. Die Arbeitsplatzzahlen gehen nach oben, und wir sind mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung die Nummer Eins im Norden: Kein norddeutsches Bundesland hatte zuletzt mehr Wachstum pro Kopf.

Weil Bremen am wenigsten investiert?

Nein, es ist vielmehr so, dass wir jetzt die Früchte der getätigten Investitionen ernten: Es war richtig, sich als attraktiver Standort für Luft- und Raumfahrt zu profilieren. Und es war richtig, stark auf den Wissenschaftsbereich zu setzen und den Hafenausbau voranzutreiben. Es wird aber notwendig sein, dass wir nach der finanzpolitisch gebotenen Zurückhaltung bei der Investitionstätigkeit wieder zulegen.

Zwei Jahre Sieling

Die vierjährige Legislatur hat am 1. Juli 2015 mit der konstituierenden Sitzung der Bürgerschaft begonnen. Die SenatorInnen wurden am 15. Juli 2015 gewählt.

Rot-Grün regiert in Bremen seit 2007 und damit zum dritten Mal in Folge: So lange hat noch nie ein Pakt zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen gehalten. In der Bürgerschaft verfügt die Koalition infolge von Fraktionswechseln über mittlerweile nur noch eine Stimme Mehrheit.

Der Pakt ist geprägt durch eine Vereinbarung über die Konsolidierung: Das stark verschuldete Land hat sich darin gegenüber Bund und Ländern verpflichtet, bis 2020 in zehn gleichen Schritten durch extreme Haushaltsdisziplin seine Neuverschuldung von einem Viertel des Landeshaushalts 2009 auf Null zu bringen. Im Gegenzug erhält es, so steht es im Grundgesetz, 300 Millionen Euro Beihilfen jährlich.

Das Konzept für die am 1. Juni auch vom Bundestag beschlossene Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat im Kern die Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz von Sieling seit Frühjahr 2016 entwickelt und im Herbst unter Vorsitz Mecklenburg-Vorpommerns mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geeint. Vorgesehen ist, dass künftig mehr Steuergeld in den Ländern bleibt, wo es für hoheitliche Aufgaben wie Schulen, Universitäten oder Polizei, Sozialausgaben benötigt wird.

Auf Betreiben des Saarlandes und Bremens bekommen die beiden Schuldennotlageländer ab 2020 zudem noch 400 Millionen Euro Sanierungsbeihilfen, von denen mindestens 80 Millionen zur Schuldentilgung genutzt werden müssen.

In einer Regierungserklärung kündigte Carsten Sieling am Mittwoch an, noch diesen Sommer eine „Zukunftskommission“ gründen zu wollen, um über die Verwendung der Mehreinnahmen zu beraten.

Aber nicht mehr in Bremerhaven beim Offshore-Terminal OTB, der jetzt tot ist?

Der ist nicht tot …

… stimmt, er hat ja nie gelebt!

Es gibt viele, die erneuerbare Energien für richtig halten. Ich zähle dazu. Für die benötigen wir aber auch eine vernünftige Infrastruktur. Darauf setzen wir in Bremerhaven. Der OTB wäre ein nächstes Element, und es gibt keinen Grund davon Abstand zu nehmen.

Außer, dass die Förderkulisse wegbricht und gleich nebenan schon so ein Ding fertig ist.

Cuxhaven ist doch der beste Beweis dafür, dass man ein Offshore-Terminal braucht!

Also halten Sie die rund 70 Millionen bisher für den OTB ausgegebenen Planungsmittel nicht für in den Sand gesetzt?

Ich weiß nicht, woher Sie die Zahl nehmen. Aber das, was bisher dort reingesteckt worden ist, ist berechtigt. Ich hätte es natürlich lieber, wenn der OTB schon fertig wäre – aber im demokratischen Rechtsstaat haben die unterschiedlichen Interessen die Möglichkeit sich zu artikulieren. Das führt hier und da zu Verzögerungen.

Manche verursacht auch die Regierung. Sie wollen zum Beispiel bei Inklusion ‚auf die Bremse treten‘. Sollten wir an den Menschenrechten sparen?

Inklusion ist eine Verpflichtung, der wir uns in Bremen besonders gestellt haben: Auch da sind wir im Bundesvergleich die Nummer eins. Aber es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten in unseren Schulen. Die können wir nicht einfach ignorieren. Deshalb sage ich: Bevor wir weitere Schritte unternehmen, müssen wir ganz genau überlegen, wie wir die in der notwendigen Qualität hinkriegen.

Aber ich kann doch nicht sagen: Wir sind klamm, sparen wir mal an den Menschenrechten!

Es geht nicht nur um Geld. Wir brauchen vor allem auch das notwendige Personal und wir müssen mit der Qualifizierung der Lehrkräfte nachkommen.

Daran ließe sich mit Geld vielleicht etwas ändern?

Ja, aber leider nicht so schnell, wie es nötig wäre. Ich verstehe die Ungeduld. Trotzdem ist Bremen in dieser Frage Vorreiter in Deutschland: Nirgends ist die Zielstellung konsequenter verfolgt worden, als hier. Die Inklusion zu verwirklichen bleibt weiterhin das erklärte Ziel des Senats.

Bloß löst Verlangsamen keine Probleme, sondern staut sie, wie die überfälligen Sanierungsmaßnahmen. Die schaffen Unzufriedene – und stellen laut Landesrechnungshof ein den Schulden vergleichbares Haushaltsrisiko dar. Wie wollen Sie das beseitigen?

Das zeigt nur, wie notwendig es ist, dass wir ab 2020 etwas mehr Luft bekommen: Zurzeit können wir nur umsetzen, was sich mit den Vorgaben des Konsolidierungspfades verträgt. Deshalb haben wir beispielsweise einen Schwerpunkt auf den Kita-Bereich gesetzt. Denn die größte und verständlichste Unzufriedenheit entsteht, wenn die Möglichkeiten für die Kinder gar nicht geboten werden, sprich: keine Kita-Plätze vorhanden sind. Wir planen darüber hinaus auch mit erweiterten Schulkapazitäten. Ich bin sicher, die Bürgerinnen und Bürger sehen, welche großen Veränderungen es hier gegeben hat, verstehen, welche Herausforderungen das bedeutet – und wissen: Wir können ordentlich regieren, aber nicht zaubern.

Muss man das, um rauszufinden, dass mehr Geburten den Kita-Platzbedarf erhöhen?

Es liegt nicht an den Geburtenraten allein, auch die Zuwanderung hat eine große Rolle gespielt und zumindest im Kindergartenbereich auch ein Bewusstseinswandel. Den begrüße ich ausdrücklich: Immer mehr Eltern sind davon überzeugt, dass es für die Kinder gut ist, früh in den Kindergarten zu kommen. Dass der Bedarf so schnell ansteigt, ist in der Tat unterschätzt worden, aber nicht nur in Bremen: Wir haben leider in allen Großstädten die gleiche Situation.

Aber nicht dasselbe Problem.

In fast allen. Aber ich gebe Ihnen Recht: Es war wichtig, dass wir beim Kita-Ausbau das Tempo verschärft haben. Auch dafür haben wir zu Beginn der Legislaturperiode die Ressorts Kita und Bildung zusammengelegt.

Das werten Sie als Erfolg?

Das sehe ich als richtige Entscheidung, die es uns jetzt ermöglicht, die Ausbauplanung aus einer Hand zu machen und auch für einen besseren Übergang von der Kita in die Grundschule zu sorgen.

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