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Kulturelle Unterschiede im AlltagZwei Welten im Wald

Bei einem Ausflug in den Wald zeigten sich mir zwei unterschiedliche kulturelle Welten. Getrennt waren sie nur von einem Parkplatz.

Spaziergänger im Wald: Würden sie eher im Café oder am Grillplatz Rast machen? Foto: Christian Charisius/dpa

A n einem schönen Frühlingstag wollten meine Familie und ich einen besonderen Tag irgendwo im Grünen verbringen. Dazu muss man wissen, das mein Bruder und ich beide nicht besonders reisefreudig sind: Um die Ecke zur Alster, in den Stadtpark oder Volkspark. Oder doch wieder Planten un Blomen? Nach einer kurzen Recherche entschieden wir uns für das Niendorfer Gehege – vor allem, weil es dort Ponyreiten und einen großen Spielplatz gibt, mit denen wir die Kinder begeistern konnten.

Der Weg dorthin mit Bus und Bahn war ziemlich umständlich. Und als wir unser Ziel endlich erreichten, war für alle Beteiligten klar: erst mal was essen. Es gab zwar ein nettes Café, zentral gelegen, mit Sitzplätzen im Freien. Doch weil wir selbst gemachtes Picknick dabei hatten, kam das nicht infrage. Langsam wurden wir alle hungrig-genervt, in meiner Familie sagen wir dazu “Lulu ju’an“. Meine Frau erinnerte sich daran, dass es in der Nähe einen Grillplatz geben soll – ihre Kollegin war dort mal mit ihrem Hund vorbeispaziert und hatte sich im Büro darüber beschwert, dass dort Essensreste herumliegen, die ihr Hund natürlich sofort gefressen hatte.

Also machten wir uns auf den Weg dorthin – und ich hatte plötzlich das Gefühl, an einem völlig anderen Ort zu sein. Es waren um Bänke und Grillplätze große Gruppen versammelt, mehr als zehn Personen pro Gruppe: kurdische, polnische, türkische, pakistanische, arabische Familien. Es lief fröhliche Musik, überall Kinder, es wurde gegrillt, gegessen, diskutiert. Es war verraucht, ich sah die nervösen Blicke meiner (deutschen) Frau in Richtung der offenen Feuerstellen – und es war sehr laut! Aber irgendwie war es ein schönes, lebendiges Laut, das Gefühl, unter Familien zu sein.

Im Café hingegen – nur ein Parkplatz und ein paar Bäume trennen beide Orte – saßen kleine Gruppen, immer so zwei, drei Personen. Sie tranken Kaffee oder Bier, aßen Pommes, Eis oder Bratwurst. Natürlich war auch dort gute Laune spürbar, auch dort liefen Kinder herum. Aber ich kann es nicht anders beschreiben: Ich sah keinen Platz für mich und meine Familie, und das natürlich nicht nur, weil es voll war.

Getrennt auch durch Klassenzugehörigkeit

Es war ein witziger Moment – innerhalb weniger Minuten im Niendorfer Gehege hatten wir zwei völlig unterschiedliche Welten betreten. Man könnte sogar sagen, das waren die – in der politischen oder medialen Diskussion so gefürchteten – Parallelwelten.

Aber das trifft es auch nicht genau, denn natürlich sitzen im Café nicht nur Deutsche ohne Migrationsgeschichte. Und natürlich habe ich keine Personenkontrolle auf dem Grillplatz durchgeführt, um jetzt schreiben zu können: Das waren alles Migrant*innen!

Aber ich habe trotzdem noch länger über diese Szenen nachgedacht. Die beiden Welten trennen sich nicht nur durch Sprache und Rücksicht auf Recycling-Vorgaben, sondern auch durch Klassenzugehörigkeit: Wenn ich mich nach einem schönen Spaziergang und Ponyreiten mit den Kindern in das Café setze und eine Halal-Pommes bestelle, Getränke, vielleicht noch ein Eis, bezahle ich schnell 10 bis 20 Euro – für eine Gruppe von zehn Personen sind das bestimmt über 100 Euro. Wenn ich aber für 50 Euro auf dem Steindamm am Hauptbahnhof Fleisch einkaufe und grille, kann ich die ganze Großfamilie versorgen.

Außerdem arbeiten viele Menschen mit Migrationsgeschichte in Jobs, die Menschen ohne Migrationsgeschichte oft nicht machen wollen. Nicht nur als Einzelpersonen, sondern auch als Familien. Viele migrantische Familien haben mehrere Kinder, was dazu führt, dass die Mütter keine Zeit für Erwerbsarbeit haben und unbezahlte Care-Arbeit für die Familie leisten – Arbeit, die im kapitalistischen System nicht als solche anerkannt wird.

Am Ende trennen ein Parkplatz und ein paar Bäume diese zwei Welten – obwohl wir alle im selben Sozialstaat, in einer offenen Gesellschaft leben.

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8 Kommentare

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  • Meine Mutter, die in einem kleinen norddeutschen, eher ländlichen Ort wohnt, in dem seit den ersten Gastarbeitern in den 60ern eine durchaus ansehnliche Zahl Menschen mit türkischem Migrationshintergrund wohnt, fragte mal "Warum machen Türken eigentlich nie Waldspaziergänge oder Radtouren?"

    Ehrlich gesagt, würde mich das tatsächlich auch interessieren. Gibt es irgendeine Art kulturellen Vorbehalt gegen den Wald in der türkischen Kultur; sieht man dort einen Spaziergang in der Natur als nicht interessant oder schön an? Es muss ja nicht gleich die Tour im November in Outdoorklamotten sein, es reicht doch schon ein Familienausflug.

    Oder ist das ganze eigentlich nur eine soziale Frage und Menschen ohne Migrationshintergrund, aber ähnlichem Bildungsgrad, gehen auch nie in den Wald?

    Ich meine die Frage tatsächlich ernst - weiß hier vielleicht jemand mehr?

  • so etwas ähnliches wie der autor beschreibt, ist an wochenenden in planten+bloomen zu erleben. ein wenig neidisch sah ich, wie da teppiche ausgerollt + große, silberne tabletts mit essen belegt, rumgereicht wurden.



    selten sieht man kleine deutsche familien mit 1 picknickkorb oder so.



    von der picknick-idee begeistert, schlug ich freundInnen beim jazz open/planten+bloomen vor:

    laßt uns dabei ein picknick abhalten, die übliche bratwurst ist teuer + salzig, das langnese eis zuckersüß + teuer; im rosencafé gibts das übliche, ungenießbre, teure futter mit viel pommes + so.

    einer brachte dann lediglich waffelröllchen mit, weil ihm partout nix einfiel, was er selbst machen konnte, da er sich vorwiegend von gummibärchen + käsebroten ernährt.

    keine/r verfügte leider über so schöne silbertabletts, niemand hatte einen teppich: trotzdem wurde es sehr schön, mit zwischendurch vorlesen aus einem kundera-roman, der grade zur hand war + über den ich heftig kichern mußte, sodaß alle wissen wollten, was es da so zu lachen gab.

    diese idee werde ich 2025 wieder aufgreifen + diesmal silbertabletts mitbringen. + 1 große schüssel waldorf-astoria salat.

  • Also auf genau diese lauten, johlenden Gruppen, die zusätzlich noch mit Beat-Boxen das Gelände beschallen müssen, die die Luft im Wald mit ihren Grilldüften verseuchen und nach ihrem Abzug Unmengen von Müll zurücklassen, kann man wirklich gut verzichten

  • Das laute Menschen immer denken ihre Lebensweise wäre die einzig richtige, idealerweise erzählen sie einem noch ungefragt – man würde sich wohl für was besseres halten, weil man Ruhe und unverqualmte Luft bevorzugt.

  • Ich sehe in der letzten Zeit eher eine klassenübergreifende Rücksichtslosigkeit im Wald und Parks. Ob da nun mit Fahrrad, Rostlaube, E-Auto oder Luxuskarosse Durchfahrts- und Parkverbote missachtet werden und ob Naturschutzgebiete beschallt werden, ob man seinen Müll überall zurücklässt, (auch wenn in Sichtweite Mülleimer stehen), dass ist ob nun biodeutsch oder mit Migrationshintergrund einfach Usus geworden.



    Auch schlimm ist "Tourenplanung" mit Google, div. Apps, und untauglichen Navis, da besteht man auf dem "Recht" auf Durchfahrt auch im Wald ungeachtet von Verbotsschildern, Schranken und Zäunen. Die beste Ausrede von der Familie im Auto auf dem Waldweg war vor Jahren, "der Opa ist hier früher immer spazieren gegangen, jetzt kann er nicht mehr, deshalb fahren wir ihn jetzt".

  • Ich war seinerzeit in/auf beiden: Grillplatz und Café nebenan. Beides völlig in Ordnung.

    Wer unbedingt 5 oder 6 Kinder haben will, hat es auch als Nichtmigrant schwer. Egal wo. Kinderplanung und Verhütung können da helfen.

    • @BrendanB:

      Kinder sind also ein gesellschaftlich anerkanntes „Problem“ und gehören auf ein Mindestmaß beschränkt?

      • @Tiene Wiecherts:

        Wo habe ich geschrieben, dass Kinder ein gesellschaftlich anerkanntes "Problem" seien?