Zwangsräumung in Hannover: Zwiespältiger Protest
Ist es richtig, gegen die Zwangsräumung von Eldin S. und seiner 9-jährigen Tochter zu protestieren? Bei der Anti-Räumungs-Aktion kommen Zweifel auf.
Der Grund für die Kündigung ist Streit in der Nachbarschaft. S. sieht sich selbst als Opfer. „Ich habe denen nichts getan“, sagt er und blickt die Straße entlang. Das Quartier liegt hinter einer viel befahrenen Straße in einem Industriegebiet. Der Verkehrslärm wird von einem großen Häuserblock abgeschirmt. Hier sind kleinere Wohneinheiten, viele Sozialwohnungen, ein bisschen Grün. Das weiße Mehrfamilienhaus, in dem S. lebt, hat blaue Holzfenster.
Vor zwei oder drei Jahren habe der Ärger angefangen. „Grundlos“, sagt S., der in einer Winterjacke samt falschem Pelzkragen in der Sonne steht. Nachbarn hätten ihn vor den Augen seiner Tochter mit einem Messer angegriffen und beleidigt. Das glaube ihm aber niemand. „Ich sage nicht, dass ich ein Engel bin, aber ich habe hier niemandem etwas getan.“
Neben S. steht Anna. Eine 29-Jährige mit goldenen Ringen in der Nase und Leoparden-Look-Hose. Die Aktivistin vom solidarischen Kiezkollektiv will ihren richtigen Namen nicht nennen. „Wir können das nicht von außen beurteilen“, sagt sie. Es sei jedenfalls keine Lösung, Menschen einfach woanders hinzusetzen, wenn es Probleme gebe.
Vermieter dürfen Mieter nicht einfach zwangsräumen lassen oder die Schlüssel für die Wohnungstür austauschen, selbst wenn sie ordnungsgemäß gekündigt haben und der Mieter trotzdem in der Wohnung bleibt.
Ein Gericht muss einen Räumungstitel verhängen, nachdem der Vermieter eine Räumungsklage angestrengt hat. Ein Zwangsvollstrecker wird beauftragt.
Der Mieter hat dann in der Regel drei Wochen Zeit, um doch noch freiwillig auszuziehen.
Wenn die Zwangsräumung wegen Mietschulden bevorsteht, kann sie verhindert werden, wenn der Mieter den Rückstand begleicht.
Ebenfalls gegen eine Räumung können Gründe wie eine kürzliche Entbindung oder eine Erkrankung sprechen, aufgrund derer der Umzug eine Gesundheitsgefährdung darstellen würde.
Eine „unbillige Härte“ läge zudem vor, wenn der Mieter keinen Ersatzwohnraum finden könnte. In der Regel stellen die Kommunen aber Notunterkünfte zur Verfügung.
Das Amtsgericht Hannover hat entschieden, dass S. ausziehen muss. Vermieter ist das städtische Wohnungsunternehmen Hanova. Der 28-Jährige S. ist arbeitslos. Er wohnt seit sieben Jahren in der Drei-Zimmer-Wohnung und kümmert sich um seine Tochter. Gerade ist sie in der Schule und bekommt nicht mit, wie sich die Polizist*innen vor dem Haus für die Räumung bereit machen.
Die Wohnung sei S. wegen Beleidigung und Bedrohungen gegen Nachbar*innen gekündigt worden, sagt ein Sprecher des Amtsgerichts auf Anfrage der taz. Es habe eine „nachhaltige Störung des Hausfriedens“ gegeben. Die Polizei bestätigt, dass es mehrfach Einsätze an dem Haus gegeben hat.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) vermietet in direkter Nachbarschaft Jugendhilfewohnungen an junge, alleinerziehende Mütter. „Die wurden massiv belästigt“, sagt Ursula Schroers vom Wohnungsunternehmen Hanova. Die Zwangsräumung sei nicht nur rechtens, sondern auch notwendig, um andere Mieter zu schützen. „Es geht hier nicht um Kleinigkeiten.“
Das Büro der AWO-Jugendhilfeeinrichtung ist nur ein paar Türen weiter. „Es gab diverse Beschwerden gegen ihn“, sagt Tanja Holzheimer, die Leiterin. „Er hat Schimpfworte benutzt, die alle mit F anfangen.“ Zudem sei der gebürtige Bosnier den Hitlergruß zeigend, johlend durch die Siedlung gerannt. S. bestreitet das. „Das ist deren Masche. Die wollen mich rauskicken und suchen dafür Gründe“, sagt er. „Ich bedrohe aber nicht irgendwelche Leute.“
Für Anna ändern die konkreten Vorwürfe aber etwas an der Lage. Sie steht neben dem 28-Jährigen und diskutiert ihren Zwiespalt mit ihm: „Wenn das stimmen würde, würden wir dich nicht unterstützen und uns mit den Frauen solidarisieren“, sagt sie. „Ein bisschen schwer vorzustellen, dass da gar nichts dran ist“, sagt auch Arthur vom Kiezkollektiv. „Ihr habt ein völlig falsches Bild von mir“, sagt S. „Ich hab nichts gegen Frauen.“
Anna schlüpft unter dem orangenen Transparent mit der Aufschrift „Wohnraum ist keine Ware“ hindurch, um sich mit den anderen Aktivist*innen zu besprechen. „Es geht uns darum, dass Zwangsräumungen grundsätzlich scheiße sind“, sagt einer. Natürlich gebe es hier Probleme. „Aber es soll ein Vater mit seinem Kind geräumt werden.“ Nur das sei wichtig.
Sie bleiben sitzen. Es geht ihnen auch um die weitere Unterbringung der Familie. Als Unterkunft nach der Räumung sei S. vom Wohnungsamt nur ein Container, keine richtige Wohnung angeboten worden. „Unser Ziel ist nicht, dass er hier ewig bleibt, aber der Container ist zu klein für die zwei“, sagt Arthur. „Mit der Aktion wollen wir versuchen, Druck auszuüben, damit er eine Wohnung bekommt.“
Noch gibt es Hoffnung, dass die Polizei die Räumung abbricht und S. Zeit gewinnt. Die vier Möbelpacker sind schon vor einer Weile wieder gefahren. S. sagt, dass er am Tag zuvor beim Landgericht eine Beschwerde dagegen eingereicht habe, dass sein Räumungsschutzantrag abgelehnt wurde. Das Verfahren wäre damit noch nicht abgeschlossen. „Beim Landgericht liegt nichts vor“, sagt ihm jedoch ein Polizist. S. hat sich den Eingang der Beschwerde nicht quittieren lassen.
Damit ist die letzte Hoffnung dahin. S. atmet tief durch und macht den Rücken gerade. Neben ihm steht Anna mit einem roten Stoppschild in der Hand. Ein Polizist spricht einen Platzverweis aus. „Verlassen Sie dieses Grundstück“, sagt er. Keiner rührt sich. Dann beginnen die Beamt*innen die Räumung. Jeweils zu zweit tragen sie den 28-Jährigen und die Aktivist*innen weg. Die machen sich schwer und lassen sich ziehen. Alles bleibt friedlich.
Ein Mann vom Schlüsseldienst soll nun die Tür aufbrechen. Er versucht es mit einer Bohrmaschine und einem Schraubenschlüssel, dann mit Hammer und Brecheisen. Er schwitzt. Das Holz des Türrahmens splittert. Dann schlägt er die Scheibe ein – und klopft auf Holz. Die Wohnungstür ist verbarrikadiert. Das kann dauern.
S. steht noch eine Weile bei den Aktivist*innen, dann geht er zur Straßenbahn. Er will seine Tochter von der Schule abholen. Ihm graust davor, in einem Container zu leben. Heute Nacht können sie bei einem Cousin schlafen, aber wie es danach weitergehen soll, wisse er nicht. Die Wohnungssuche in Hannover sei schwierig. „Das ist kein Leben für mich und meine Tochter“, sagt er. „Das ist nicht menschlich.“
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