Zustellung von Zeitungen: Drohnen gegen Populismus
Immer weniger Menschen lesen Zeitungen, auch in Welzow. Das verteuert die Zustellung. Die Kleinstadt in Brandenburg sucht neue Wege – sogar aus der Luft.
Doch heute warten sie im Nieselregen, wie aufgetragen, als ein leises Surren in der Ferne erklingt. Über den Baumwipfeln erscheint ein roter, länglicher Kasten mit Rotoren statt Flügeln und vier Beinen, die abstehen wie bei einem Insekt. Er fliegt auf sie zu, sinkt ab und wirbelt Blätter auf. „Ist die laut!“, brüllt Horst Buda gegen das nun dröhnende Hubschrauber-Surren an. Dann – Stille.
Vor den Budas, die dünnen Beine in den Matsch gekrallt, steht: eine schmale Drohne, kaum einen Meter lang. Kritisch beäugt Horst Buda das Gerät, tritt heran, kniet nieder und zieht zweimal an einer am Unterbau befestigten Box, bis er sie in den Händen hält. Er klappt den Deckel auf: eine Schnapsflasche und daneben – ordentlich zusammengerollt – das Anzeigenblatt, das sie seit Jahren regelmäßig lesen.
Einige Haushalte in Welzow, dem kleinen Dorf am Lausitzer Seenland im Südosten Brandenburgs, sollen künftig nicht mehr von Boten mit örtlichen Anzeigenblättern und Tageszeitungen versorgt werden, sondern von Drohnen. Die hohen Zustellkosten für Zeitungsverlage in abgelegenen Regionen, wie dem Kreis Spree-Neiße, verlangen nach neuen Lösungen.
Welzow geht in die Testphase
Die Probleme sind bekannt: sinkende Auflagen, steigende Mindestlöhne und ein Mangel an Zustellern. Wird es zu teuer, stoppen Verlage den Druck: Schon vergangenes Jahr haben Funke und Madsack entschieden, die Ostthüringer Zeitung und den Prignitz-Kurier in Teilen nur noch als E-Paper herauszugeben. Jetzt zieht die Süddeutsche Zeitung auf andere Weise nach: Außenbüros in Landkreisen machen dicht, die lokale Berichterstattung wird radikal heruntergefahren, das, was bleibt, wird digital.
Die Lausitzer Rundschau dagegen wird jeden Tag noch 50.000 Mal gedruckt und geliefert. 180.000 Menschen lesen sie. Mithilfe der Politik sollen deshalb Lösungen gefunden werden, Lieferketten weiterhin aufrechterhalten zu können.
Welzow geht dafür jetzt in die Testphase. Im Rahmen des vom Ministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekts „5G Testbed BB“ wird in Stadt und Umkreis ein innovativer Ansatz ausprobiert, um Zeitungen zukünftig flächendeckend ausliefern zu können. Besonders in ländlichen Gebieten ist es schwer, die Zustellkosten für die Zeitungslieferung zu decken. Das führt zu immer mehr „weißen Flecken“ auf der Zustellkarte, also Regionen, in denen Zeitungen nicht mehr zugestellt werden können.
Mit seinen knapp 83 Einwohnern pro Quadratkilometer gehört Welzow zu den am dünnsten besiedelten Gegenden Deutschlands. Halb verfallene Häuser, gebaut aus rotem Backstein, die Fensterscheiben eingeschlagen, reihen sich am Straßenrand des Ortszentrums. Es gibt einen Kindergarten, einen Hofladen.
Fußgänger sieht man kaum, die meisten der über 3.000 Einwohner sind im Auto unterwegs. Die Wege hier sind lang, unbefestigte Straßen verbinden die weit voneinander entfernten Grundstücke um den Ort herum miteinander. Auch der ein Kilometer lange Feldweg, der zum Haus der Budas führt, ist in einem maroden Zustand.
Statt solche abgelegenen Grundstücke über schlechte Straßen anzufahren – was Zeit und Personal benötigt –, sollen Zusteller die Drohnen in Zukunft von ihrem Lieferwagen aus mit Zeitungen losfliegen lassen, um Haushalte in schwer erreichbaren Gebieten beliefern zu können. Überwacht werden sollen die Flüge aus der Zentrale des Drohnenunternehmens im westfälischen Lüdenscheid, während die Boten im brandenburgischen Welzow gleichzeitig andere Haushalte beliefern.
Aus der Tiefe in den Himmel
Welzow hält als letzter Braunkohleort Brandenburgs die Stellung – noch. 160 Jahre Tradition enden spätestens 2038 mit dem Kohleausstieg. Die Stadt muss umdenken, um wirtschaftlich zu bestehen. Bürgermeisterin Birgit Zuchold (fraktionslos) sieht im Ausbau des 5G-Netzes und in Drohnenprojekten „eine Chance“.
Auf dem ehemaligen Militärflugplatz Spremberg-Welzow könnte ein Logistik-Hub entstehen, auch von dort sollen Drohnen abgelegene Regionen auch mit anderen Gütern als Zeitungen versorgen. Das bringt die Stadt Welzow mit der Lausitzer Rundschau zusammen und die Budas vor ihr Haus, um den ersten und vorerst letzten Testflug durchzuführen: Am Flugplatz wird die Transportdrohne beladen, zwei Kilometer über Wiesen und Wälder geflogen, um die Budas am gleichen Tag mit der aktuellen Ausgabe des Anzeigenblatts des Verlags und einer Schnapsflasche – ganz nach Horst Budas Geschmack – zu beliefern.
Die Auflage der Tageszeitung Lausitzer Rundschau verzeichnete seit 1998 ein Minus von über 70 Prozent – ein Trend, der auch andere Lokalzeitungen betrifft. „Mit sinkenden Auflagen steigt der Preis pro Zeitung“, erklärt Jerome Schwabe, Geschäftsführer der Zustellgesellschaft Lausitz GmbH, welche zuständig für die Auslieferung der Zeitungen ist. „Bevor wir diese Gebiete aufgeben, setzen wir lieber Drohnen ein“, so Schwabe. Niemand dürfe abgehängt werden, weder die Menschen, die nicht auf digital umsteigen wollen, noch die, die in zersiedelten Gegenden leben.
Klaus Hiller, Innovationsmanager des Projekts, ist sich sicher, dass die Digitalisierung noch nicht die Lösung darstellt. Laut ihm brauche es allerdings eine effiziente Logistik, die es ermöglicht, die Zustellung kostengünstig aufrechtzuerhalten.
Zeitung genehmigt!
Das Drohnenprojekt in Welzow ist nicht das erste in der Region. Bereits im vergangenen Jahr transportierte eine Drohne medizinische Proben von Guben nach Cottbus. An anderen Orten halfen sie, Ertrinkende schneller zu finden. Doch alle Versuche scheiterten an der bestehenden Gesetzeslage: Unbemannte Drohnen dürfen in Deutschland nicht über bewohntem Gebiet fliegen. „Dabei könnten wir das Leben im ländlichen Raum attraktiver machen“, sagt Hiller.
Auch in Welzow wird es noch Jahre dauern, bis Drohnen regelmäßig fliegen dürfen. Das Projekt läuft zum Jahresende nach acht Monaten Testzeit aus, die nötigen Fördergelder fallen weg. Hinzu kommt die bürokratische Hürde: Obwohl das Drohnenunternehmen eine Genehmigung für den Ort hat, muss jeder Flug sowie jedes mitgeführte Behältnis einzeln genehmigt werden.
Es ist wichtig, Menschen zuzuhören, wenn sie ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern – auch in ländlichen Regionen wie Welzow. Geschieht das nicht, werden womöglich nicht nur die analogen Zeitungsleser vom Weltgeschehen abgehängt, sondern ebenso Populismus gefördert.
Drohnen müssen vielseitig sein
Auch der Deutsche Journalisten-Verband zeigt sich daher offen für neue Ansätze: „Alles ist willkommen, was eine größtmögliche Versorgung der Menschen mit dem Produkt Zeitung gewährleistet“, erklärte ein Pressesprecher der taz auf Anfrage. Sonst drohe Deutschland ein ähnliches Schicksal wie den USA, wo Gebiete ohne Lokalzeitung und Lokalradio zu Nährböden für Desinformation und politischen Extremismus werden – sogenannte „News Deserts“. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) warnt: Bis 2025 werden etwa 4.400 deutsche Kommunen, also 40 Prozent aller Gemeinden, wohl ohne Lokalzeitung auskommen müssen.
Es wirkt widersprüchlich, teure Zustellung mit noch teurerer Technik zu lösen. Das Problem sehen auch die Projektbeteiligten in Welzow: „Es geht jetzt darum, die Kosten für die Nutzung zu senken“, erklärt Hiller. Eine Lösung könnte darin bestehen, die Drohnen vielseitig einzusetzen – nicht nur für die Zustellung von Anzeigen. Sie könnten Medikamente ausfliegen, per Sensor Daten zu Ackerflächen und Borkenkäfern sammeln oder Post und Pakete ausliefern. Nur so, ist sich Hiller sicher, werde das Modell auch für die Zeitungslieferung wirtschaftlich tragfähig. Ein Antrag auf Weiterförderung sei bereits gestellt worden, wie das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg auf Anfrage der taz mitteilte.
Auch die Budas fragen sich, ob Drohnen die Lösung für Welzow sein könnten – ein Ort, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht und schon immer die Lausitzer Rundschau gelesen haben. In Horst Budas Familie ist ein Abonnement der Tageszeitung Tradition: Schon seine Eltern lasen sie, er brachte sie zusammen mit seiner Frau 15 Jahre lang zu den Haushalten der Region. Ein Umstieg auf ein E-Paper kommt für ihn nicht infrage. „Ich glaube, digital würde ich die Zeitung nicht lesen. Dann würde ich aufhören“, sagt der Rentner. „Außerdem hat nur die Sabine ein Handy, und das schalte ich höchstens ein und aus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!