Zustände in der JVA Fuhlsbüttel: „Mittlerweile unerträglich“
Was in der JVA Fuhlsbüttel so alles passiert, kommt derzeit bei einem Prozess um eine Sex-Erzählung zu Tage – und in einem Brandbrief der Häftlinge.
Im Gerichtssaal betonen Richter und Staatsanwältin mehrfach, dass die Verhandlung nicht zum Schauprozess über die Zustände in der JVA Fuhlsbüttel, auch Santa Fu genannt, werden soll. Doch genau das ist er von Anfang an. Die Zuschauer:innen erfahren viel über eine Welt, die den Augen der Öffentlichkeit eigentlich verborgen ist.
Am zweiten Verhandlungstag sitzt der verurteilte Doppelmörder Peter Z. im Zeugenstand. Er wird mit Hand- und Fußfesseln von vier JVA-Beamten in den Gerichtssaal geführt und erzählt detailreich, wie er seinen Kumpel Spencer – ebenfalls ein verurteilter Schwerverbrecher – beim Sex mit der Wärterin erwischte. Spencer, der immer noch im Gefängnis sitzt, wird zwei Verhandlungstage später alles abstreiten und behaupten, er sei erfolgreicher Manager.
Der Prozess ist zermürbend und aufwendig – für ein eher geringes Strafmaß, über das verhandelt wird. Das liegt auch daran, dass Verteidigung und Staatsanwaltschaft sich nichts schenken. Die Staatsanwältin versucht tatkräftig, die Zeugen als unglaubwürdig darzustellen, die Verteidigung von Otto F. hat immer noch einen weiteren Beweisantrag im Ärmel, wenn die Situation ausweglos erscheint.
Häftlinge aus Santa Fu in einem Brandbrief an das Bundesjustizministerium
Immer wieder meldet sich auch F. zu Wort. Er ist bis zum Hals tätowiert und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „hate & kill Prison Crew“. Der 56-Jährige hat eine lange Gefängniskarriere hinter sich. Er sei das erste Mal mit 15 im Jugendknast gelandet und danach immer wieder. Insgesamt seien es 30 Jahre gewesen, sagt er gegenüber der taz nach einem Verhandlungstag. „Ich möchte danach neu anfangen und nie wieder ins Gefängnis“, sagt er. Er habe eine Tochter und eine Lebensgefährtin, um die er sich kümmern wolle.
Vor Gericht ist er ruhig. Er ist freundlich zu Richter und Staatsanwältin, aber auch bestimmt. Eine Einstellung des Verfahrens gegen eine geringe Geldauflage lehnt er zweimal ab. Es gehe ihm um die Wahrheit. Damit pokert er hoch, denn mit dem laufenden Verfahren gefährdet er auch eine mögliche Entlassung auf Bewährung, über die bald entschieden werden soll.
F. ist auch Mitglied der Gefangenenvertretung von Santa Fu. Ein Wärter sagt vor Gericht aus, F. sei ein Gefangener, der sich gut benehme, nie Ärger mache. Die Vorstrafen von F. sind der taz teilweise bekannt, sollen in diesem Text aber keine Rolle spielen. Denn F. ist bewusst, warum im Gefängnis sitzt. „Wir machen hier keinen Urlaub, sondern wir sind alle zu recht hier“, sagt er am Telefon.
In einem Rechtsstaat haben auch verurteilte Verbrecher bestimmte Rechte. Im Juli schrieb er mit anderen Gefangenenvertretern weitere Briefe an verschiedene Behörden und die Hamburger Bürgerschaft. Diese liegen der taz vor. Darin beklagen die Häftlinge „katastrophale Zustände“. Der Hauptvorwurf: Es gebe kaum Maßnahmen zur Resozialisierung und es fände fast keine Entlassungsvorbereitung mehr statt.
Otto F. und die anderen Unterzeichner warnen vor einer Revolte. Im Mai 2020 kam es dazu schon fast, nachdem rund 60 Häftlinge sich weigerten, nach dem Hofgang wieder in ihre Zellen zurückzukehren. Die Insassenvertretung fordert seitdem ein Gespräch mit der Anstaltsleitung, doch diese verweigere sich, schreiben die Häftlinge.
Nachprüfbar sind die Vorwürfe nur teilweise, da sich alles, was hinter den Mauern von Santa Fu passiert, der Öffentlichkeit entzieht. Die Hamburger Justizbehörde teilt auf Anfrage schriftlich mit, dass sie umfassende Maßnahmen zur Resozialisierung anbiete. Laut Justizbehörde gab es am 5. Juli, kurz vor Versendung der Brandbriefe, ein Gespräch mit der Insassenvertretung. Seitdem allerdings keines mehr.
Der NDR, der den Prozess auch begleitet, veröffentlichte einen Beitrag, in dem ein anonymer JVA-Beamter über schlimmste rassistische Misshandlungen und Verhaltensweisen anderer Wärter berichtet.
Ermittlungsverfahren gegen Beamten
Otto F. schickt nach Ausstrahlung des Beitrags zwei Briefe an den verantwortlichen NDR-Autor. Darin bedankt er sich herzlich im Namen aller Gefangenen und auch vieler Wärter:innen. Er beklagt, seine Situation habe sich noch weiter verschlechtert nach der Veröffentlichung. Er sei auf die Isolierstation C1 verlegt worden, nachdem Beamte seine Zelle durchsucht und ihn aufgefordert hätten, Bilder von seiner Tochter abzuhängen. „Deshalb habe ich folgendes zu ihm gesagt, Zitat: ‚Sie sollten mal aufhören, ihr Hoheitsgebiet so zu missbrauchen, ansonsten können sie mich am Arsch lecken.‘ Das war in elf Jahren Haft meine einzige ‚Beleidigung‘ eines Beamten“, schreibt F. in einem der Briefe.
Gegen den Beamten, der F.s Zelle durchsuchte, lief im Jahr 2019 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, dieser habe Drogen in die JVA geschmuggelt. F. hätte gegenüber einem anderen JVA-Bediensteten angeboten, gegen den Beamten auszusagen und einen Drogendeal zu bezeugen, sagt F. Das Ermittlungsverfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Die Staatsanwaltschaft weiß nichts von F.s Angebot, beteuert aber, umfassend ermittelt zu haben. F. kündigte am Telefon gegenüber der taz an, aus Angst vor weiteren Repressalien erst einmal freiwillig auf der Isolierstation C1 zu bleiben.
Im aktuellen Prozess gegen ihn soll nun geklärt werden, ob die Beamtin, die angeblich mit Häftlingen sexuell verkehrt haben soll, eine intime Tätowierung hat. Dies würde die Aussage des Doppelmörders Peter Z. bestätigen. An den Brandbrief der Insassen kann sich im Justizausschuss der Bürgerschaft niemand erinnern – offenbar ist er irgendwo nicht weitergeleitet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben