piwik no script img

Zustände in den FlüchtlingsunterkünftenPer „Fluchtschiff“ nach Berlin

Aktivisten und Flüchtlingsfrauen schipperten mit zwei Flößen quer durchs Land. Ihre Aktion soll auf die Situation in Asylunterkünften hinweisen.

Flüchtlingsunterkunft in einer ehemaligen Lkw-Halle in Bayern Bild: dpa

BERLIN taz | Kurz vor dem Start am 14. Juli wurde der letzte Nagel eingeschlagen. Die zwei selbstgebauten Flöße sind zwölf Meter lang und zweieinhalb Meter breit, leere Speiseölfässer tragen die dicken Baumstämme. Die sogenannten Fluchtschiffe haben während sieben Wochen den Musiker Heinz Ratz, Flüchtlingsfrauen und Unterstützer und Unterstützerinnen flussabwärts von Nürnberg bis Berlin getrieben – über die Pegnitz, den Main, Neckar und Rhein bis an die Spree. Jeden Abend gaben die Frauen und die Band von Ratz, die sich „Strom und Wasser“ nennt, in einer anderen Stadt ein Konzert.

Die Kampagne „Fluchtschiff“ ist das dritte Projekt des 43-jährigen Musikers Heinz Ratz, mit dem er auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen will. Bei seinen Besuchen von mehr als 150 Flüchtlingsunterkünften habe er festgestellt, „dass die Hauptleidtragenden sehr oft die fliehenden Frauen sind“, sagt Ratz.

Die Frauen hätten jedoch große Scheu, an die Öffentlichkeit zu treten, sagt Ratz. Mit „Fluchtschiff“ will er die frauenspezifischen Probleme der Asylpolitik in den Vordergrund rücken.

Mit an Bord ist Women in Exile – eine Initiative von Flüchtlingsfrauen, die sich 2002 in Brandenburg zusammengeschlossen haben, um für ihre Rechte zu kämpfen. „Flüchtlingsfrauen sind doppelt Opfer von Diskriminierung: Sie werden als Asylbewerberinnen durch rassistische Gesetze ausgegrenzt und als Frauen diskriminiert“, erklärt die Gründerin der Initiative, Elisabeth Ngari, die sich selbst Bethi nennt. Sie will die Reise dazu nutzen, sich mit Flüchtlingsfrauen in ganz Deutschland zu vernetzen.

Jeden Tag legte das Floß in einer neuen Stadt an. „Wir haben viele menschenunwürdige Lager gesehen, in denen es am Notwendigsten fehlt“, erzählt die gebürtige Kenianerin. Eines der Hauptprobleme: die fehlende Privatsphäre der Frauen. Sie werden zusammen mit Männer in engen Räumen untergebracht, wodurch sexuelle Übergriffe gerade bei alleinerziehenden Frauen keine Seltenheit seien.

Bethi war zusammen mit fünf anderen Frauen von Women in Exile auf dem Floß. Dabei nahmen sie unterwegs immer wieder Flüchtlingsfrauen mit, meist konnten diese jedoch nur wenige Tage mitfahren. Sie hätten wegen der Residenzpflicht Angst gehabt, sagt Bethi. Auch Heinz Ratz stieß unterwegs auf einige Schwierigkeiten: „Es ist ein Erfolg, dass wir es überhaupt bis Berlin geschafft haben.“

Wenn alles kappt, will Women in Exile außerdem ein Memorandum mit konkreten Forderungen beim Innenministerium einreichen. Die Tour endet nach etwa 50 besuchten Städten am Sonntag in Bremen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!