Zur UN-Megastadtkonferenz: Die Unbewohnbare
Smog, Zersiedelung und Autoverkehr machen Peking zu schaffen. Nun setzt die Stadtverwaltung auf Dezentralisierung.
Diese Baustelle, rund 70 Kilometer südöstlich vom Stadtzentrum entfernt, ist eine von vielen hundert. Im gesamten Umland der chinesischen Hauptstadt vermessen Ingenieure derzeit Flächen, Bauarbeiter heben Gruben aus und errichten Stelzen aus Beton für die Schienen der Hochgeschwindigkeitszüge. „Je früher wir Parkanlagen, Einkaufszentren und U-Bahn-Linien einplanen, desto lebenswerter wird es werden“, ist Stadtplaner Huang Zhiwei überzeugt. „Die Leute sollen möglichst von sich aus kommen.“
Über 20 Millionen Einwohner zählt Peking derzeit. Geht es nach dem Willen der chinesischen Führung, soll die chinesische Hauptstadt noch größer werden und mit der benachbarten Hafenmetropole Tianjin und den Städten der umliegenden Provinz Hebei zu einem gigantischen Ballungsraum zusammenwachsen. Einen Namen für die Megametropole gibt es schon: Jingjinji (abgeleitet von Beijing, Tianjin und Ji, dem traditionellen Namen der Provinz Hebei). Kommen die Pläne zustande, werden in diesem Ballungsraum mehr als 130 Millionen Menschen leben, mehr als in Deutschland, Schweiz, Österreich und Polen zusammen.
Diese Pläne entstammen keineswegs den Federn größenwahnsinniger Parteisekretäre. Sie sind aus der Not geboren. Noch vor 35 Jahren galt Peking als Musterbeispiel chinesischer Städteplanung. Zwischen dem Kaiserpalast im Zentrum der Stadt und der alten Stadtmauer reihten sich symmetrisch die damals für Peking so typischen Hutong-Viertel: traditionelle Hofhäuser (Siheyuan) entlang kleiner Gassen, dazwischen jede Menge Parks und Tempelanlagen. In den Hutongs war es angenehm still. Das Leben spielte sich auf den Hauptstraßen zwischen den Hutong-Vierteln ab.
Kaum mehr zu behebende Fehler
Zwar hatte Peking bereits unter Mao damit begonnen, viele dieser traditionellen Hutong-Viertel durch eintönige Plattenbauten zu ersetzen. Er ließ zudem die alte Stadtmauer einreißen und eine achtspurige Ringstraße errichten. Die großen städtebaulichen Sünden kamen aber mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem massiven Zuzug ab Mitte der achtziger Jahre.
Und die Pekinger Stadtverwaltung beging Fehler, die kaum mehr zu beheben sind. Das ebenfalls zeitgleich boomende Schanghai versah die neu entstehenden Stadtzentren frühzeitig mit einem dichten U-Bahn-Netz. Peking hingegen setzte auf breite Schnellstraßen für dicke Autos. Während Schanghai vor allem in die Höhe wuchs, ging Peking in die Breite.
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Das Pekinger Stadtgebiet misst heute über 15.000 Quadratkilometer. Wegen der langen Anfahrtswege sind die Straßen ständig verstopft. Zweistündige Staus im Morgenverkehr sind die Regel. Alle paar Monate eröffnet zwar eine neue U-Bahn-Linie. Im Nachhinein die urbanenen Knotenpunkte mit einem Schienensystem zu verbinden ist jedoch kompliziert und teuer. Weil die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel umständlich bleibt, setzen die Pekinger weiter auf das eigene Auto.
Hinzu kommt der Smog. Autos tragen offiziellen Angaben zu rund einem Viertel der Luftverschmutzung bei, der Löwenanteil der hohen Feinstaubbelastung geht auf die Schwerindustrie zurück. Doch die Mengemacht’s: Seit 2008 hat sich in Peking die Zahl der Autos auf fast sechs Millionen mehr als verdreifacht. Die regierungsnahe Akademie der Sozialwissenschaft stellte Anfang 2015 in einer Studie fest, dass der dichte Verkehr und die extreme Schadstoffbelastung Peking „praktisch unbewohnbar“ mache.
Der große Zwangsumzug
Pekings Stadtobere haben die Probleme erkannt. Doch die Stadt zurückzubauen und so das hohe Verkehrsaufkommen zu senken lässt sich nach Ansicht von Experten nicht bewerkstelligen. Dazu sei die Stadt zu groß. Daher setzt die Stadtverwaltung nun auf Dezentralisierung.
So ist sie derzeit dabei, sämtliche ihrer Verwaltungseinheiten nach Tongzhou zu verlegen, einen ländlichen Vorort im Südosten der Hauptstadt. Um mehr als zwei Millionen Einwohner soll die Pekinger Innenstadt durch diesen Umzug entlastet werden. Auch Universitäten und Staatsunternehmen sind angehalten, ihre Sitze ins Umland zu verlegen.
Eine Wahl haben die Betroffenen nicht. Wollen sie ihre Jobs behalten, müssen sie mitziehen. Immerhin soll ihnen der Zwangsumzug ein Stück weit schmackhaft gemacht werden: mit Palmen und Lagunen.
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