Unmittelbar und frei

Sie kämpfte sich aus einer gewaltvollen Ehe heraus und und verstand es, ihre Macht als Frau zu nutzen. Tina Turner war auch eine feministische Ikone

Tina Turner mit ihrem damaligen Ehemann Ike in Los Angeles, 1975   Foto: CBS via getty images

Von Jenni Zylka

Im November 1967 erschien die zweite Ausgabe des kurz zuvor in San Francisco gegründeten Musikmagazins Rolling Stone. Auf dem Cover: Tina Turner, eine Schwarze Frau. Auf der ersten Ausgabe war John Lennon abgebildet.

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt die damals 28-jährige Tina in einem locker geschnittenen Pailletten-Minikleid, sie singt (wahrscheinlich schreit sie eher), die Arme sind in einem wilden Tanzschritt ausgebreitet, die langen Haare fliegen. Die Energie auf dem Foto ist unmittelbar und frei. „Anders als bei den höflichen Handclaps der üblichen Motow-Gruppen“, sagte der Fotograf Baron Wolman, „schrie und heulte sie mit den Ikettes und legte dabei einen fantastischen Boogaloo hin.“

Man könnte diesen Boogaloo auch als Kampfansage lesen: Turner, die von ihrem gewalttätigen Ehemann sowohl den Vor- als auch den Nachnamen übergestülpt bekommen hatte, nutzte die Kunstfigur „Tina“, um sich langsam, aber sicher ihre Emanzipation zu erarbeiten.

In den 60ern illustrierte sie auf der Bühne die heteronormative Fantasie einer unersättlichen Schwarzen Frau, die doppeldeutig den Mikrofonständer (!) streichelt – aber schaffte es, sich gleichzeitig über dieses Image lustig zu machen. Ihre Lebenslust war immer auch eine Überlebenslust – aus der psychisch und physisch abusiven Beziehung zum drogenabhängigen, erratischen und narzisstischen Ike auszusteigen, musste sie sich als Tochter einer ebenfalls durch Beziehungsgewalt geprägten Mutter erst erkämpfen.

Sie tat dies durch den Schritt vom Background in den Vordergrund der Bühne, durch die Aneignung von Mackerrocksongs wie „Whole Lotta Love“, die erfolgreiche Arbeit als Texterin – „Nutbush City Limits“ – und die Nutzung der Kunstfigur Tina, hinter der sich Anna Mae Bullock verstecken konnte.

1975 zeigte ihr Auftritt als irre, LSD-dealende Prosti­tuier­te, die über Leichen geht, in der Verfilmung der Rockoper „Tommy“ zunächst fiktiv eine Seite von ihr, die sie später als mächtige Dorfchefin „Aunty“ im dystopischen „Mad Max 3“ noch stärker ausspielte: Diese Frau hat gelernt, ihre Macht zu benutzen.

In den 1970er Jahren, als um sie herum die Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen aufblühten, fand sie endlich genug Mut, um auch aus dem realen Albtraum auszubrechen. Sie floh mit 36 Cents in der Tasche vor Ike in ein Motel und reichte die Scheidung ein. Die beiden trafen sich nie wieder. Und Tina Turner, als Anna Mae geprägt von den Repressionen ihrer Vergangenheit, sprach zwar nicht mehr viel über das erlittene Leid.

Hier konnte man eine Überlebende sehen, deren unfassbare Resilienz sie vor Bitterkeit bewahrt hatte

Doch ihre Karriere, die in den 80ern in absolute Spitzen florierte, erzählte eine eigene Geschichte: Hier konnte man eine Überlebende sehen, deren unfassbare Resilienz sie anscheinend vor Bitterkeit oder nachhaltigen psychischen Verletzungen bewahrt hatte.

Dass sie während der 80er und 90er weiterhin konsequent in Minirock, mit „big hair“ und High Heels hantierte, etwa im verschwommen feuchten Video zum 1989er Hit „Steamy Windows“, war eine trotzige Demonstration ihrer neugewonnenen Macht: Tina Turner ließ sich die Lust am Sex nicht von Tätern, nicht von der Gesellschaft und erst recht nicht vom Ageismus nehmen.

Ihr Song „Show some Respect“ vom Erfolgsalbum „Private Dancer“ aus dem Jahr 1984 hatte wenig mit Aretha Franklins selbst­ermächtigter Otis-Redding-„Respect“-Interpreta­tion von 1967 zu tun. Dennoch sagte Tina Turner damit klar aus, was für sie zu einer Beziehung auf Augenhöhe gehört: „Don’t take it for granted, I know / That if you want to stay close / We’ve got to show some respect.“ Das ist vielleicht kein Slogan für einen „womens right march“. Aber es ist ein Motto, mit dem Tina Turner fortleben konnte. Und als Buddhistin wird sie ja eh wiedergeboren.