piwik no script img

Zum Tod von Tilman Zülch„Auf keinem Auge blind“

Tilman Zülch, Gründer und langjähriger Leiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, stirbt im Alter von 83 Jahren. Er war profiliert und umstritten.

Der Gründer der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, starb am Freitag Foto: Martin Schutt/dpa

Göttingen taz | Ein „Visionär und unbeugsamer Anwalt für Verfolgte in aller Welt“ sei er gewesen, würdigt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ihren Gründer und langjährigen Generalsekretär. Tilman Zülch war einer der profiliertesten, aber auch umstrittensten Menschenrechtler. Mit einem Kommilitonen hatte er 1968 die „Aktion Biafra-Hilfe“ gegründet, aus der zwei Jahre später die GfbV hervorging. Sie setzt sich bis heute für Indigene in Amerika und Asien, für Kurden und Jesiden im Nahen Osten und für Volksgruppen ein, „von denen keiner spricht“ – so der Titel eines der von Zülch herausgegebenen Bücher.

Mit spektakulären Aktionen schaffte es die GfbV häufig in die Schlagzeilen. 1988 deckte sie die Mitverantwortung deutscher Firmen beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten Kolumbus-Jahr, überquerten zwei GfbV-Aktivisten den Atlantik mit einem Bambusfloß. Und 1995, vor der Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa im Ölfördergebiet, demonstrierte die GfbV vor der Shell-Zentrale in Hamburg mit Galgen-Attrappen.

Dass Zülch und seine Initiative sich auch für Miskito-Indianer im sandinistischen Nicaragua engagierten, die mit US-finanzierten „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront FSLN bekämpften oder im Jugoslawien-Konflikt Bombenangriffe zugunsten der bosnischen Muslime verlangten, rief linke Demonstranten auf den Plan. Zülchs Antwort: „Ihr seid auf einem Auge blind.“

Mehr als ein Dutzend Auszeichnungen

1980 war Zülch in Göttingen Mitgründer der Grünen, ein Jahr später trat er wegen des vermeintlichen Linkskurses der Partei wieder aus. Von 1985 bis 1989 wurde er mit einem DDR-Einreiseverbot belegt. Seine Stasi-Akte betrachtete er als „Anerkennung“.

Intern beklagten Mitarbeiter bisweilen ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 eskalierte ein Streit über angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu Unrecht bezogene Gehälter an ihn in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen. „Ein Drittel unserer Arbeitszeit verbringen wir gerade mit einer Art internem Bürgerkrieg“, sagte Zülch damals. Über Monate kommunizierten er und seine Widersacher nur über Anwälte.

Für sein Engagement erhielt Zülch mehr als ein Dutzend Auszeichnungen, darunter den Göttinger Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma und das Bundesverdienstkreuz. Tilman Zülch wurde 83 Jahre alt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Tilman Zülch war einer, dessen Einsatz für von Verfolgung und Vernichtung bedrohte ethnische und religiöse Minderheiten nie von ideologischen Motiven beeinflusst war … was ihn und die GfbV nicht selten zu einer Zielscheibe der Kritik von Links gemacht hat. Spöttisch-zynisch wurde seinerzeit von linker Seite der Vorhalt gemacht, die GfbV sammle bedrohte Völker wie andere vom Aussterben bedrohte Schmetterlingsarten, als diese die sandinistische Verfolgungspolitik gegen die indigenen Miskito in Nicaragua anprangerte. Zülch wurde deshalb sogar eine antikommunistische Gesinnung vorgeworfen … vielleicht war‘s er, vielleicht nicht, es schmälert jedoch nicht seine Verdienste um den Kampf für Menschenrechte weltweit, über alle politischen Differenzen hinweg.



    Wichtige Beiträge waren es, mit dafür gesorgt zu haben, dass der Genozid an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwest“ sowie der Aghet, der osmanische Völkermord an den Armeniern, wieder ans Tageslicht der deutschen Öffentlichkeit gebracht wurden. Oder der Giftgaseinsatz Saddam Husseins gegen die irakischen Kurden. Oder die unerträgliche Menschenrechtssituation der Uighuren und Tibeter in China. Oder die Bedrohung der Lebensgrundlagen für indigene Gemeinschaften in Amazonien sowie den bürgerrechtlichen Kampf nordamerikanischer Indigener in den USA gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Armut. Nur einige Beispiele.



    Tilman Zülch, R.I.P. … verbunden mit der Hoffnung, dass die GfbV auch nach seinem Tod ihre wichtige Menschenrechtsarbeit mit unverminderter Kraft fortsetzen kann.